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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Friedrich, wiedersehen. Kaum hatte sie sich diesen
Wunsch einmal erlaubt, als sie auch schon auf dem
Pferde saß und der Residenz zuflog. Dieß war da¬
mals, als sie Friedrich an dem warmen Märzfeste
so wild die Menge theilend vorüberreiten sah. Als
sie nun ihren Geliebten wieder vor sich sah, noch
immer unverändert ruhig und streng wie vorher,
während eine ganz neue Welt in ihr auf- und
untergegangen war, da schien es ihr unmöglich,
seine Tugend und Größe zu erreichen. Die beyden
vor ihr Leben gespannten, unbändigen Rosse, das
schwarze und das weiße, giengen bey dem Anblick
von neuem durch mit ihr, alle ihre schönen Pläne
lagen unter den heißen Rädern des Wagens zer¬
schlagen, sie ließ die Zügel schießen und gab sich
selber auf.

Friedrich war indeß noch mehrere Tage lang
mit Leontin in dem Gebirge herumgestrichen, um
Erwin wiederzufinden. Aber alle Nachforschungen
blieben vergebens. Es blieb ihm nichts übrig, als
auf immer Abschied zu nehmen von dem lieben We¬
sen, dessen wunderbare Nähe ihm durch die lange
Gewohnheit fast unentbehrlich geworden war.

Rüstig und neugestärkt durch die kühle Wald-
und Bergluft, die wieder einmal sein ganzes Leben
angeweht, kehrte er in die Residenz zurück und
gieng freudiger als jemals wieder an seine Studien,
Hoffnungen und Pläne. Aber wie vieles hatte sich
gar bald verändert. Die braven Gesellen, welche
der Winter tüchtig zusammengehalten, zerstreute

Friedrich, wiederſehen. Kaum hatte ſie ſich dieſen
Wunſch einmal erlaubt, als ſie auch ſchon auf dem
Pferde ſaß und der Reſidenz zuflog. Dieß war da¬
mals, als ſie Friedrich an dem warmen Märzfeſte
ſo wild die Menge theilend vorüberreiten ſah. Als
ſie nun ihren Geliebten wieder vor ſich ſah, noch
immer unverändert ruhig und ſtreng wie vorher,
während eine ganz neue Welt in ihr auf- und
untergegangen war, da ſchien es ihr unmöglich,
ſeine Tugend und Größe zu erreichen. Die beyden
vor ihr Leben geſpannten, unbändigen Roſſe, das
ſchwarze und das weiße, giengen bey dem Anblick
von neuem durch mit ihr, alle ihre ſchönen Pläne
lagen unter den heißen Rädern des Wagens zer¬
ſchlagen, ſie ließ die Zügel ſchießen und gab ſich
ſelber auf.

Friedrich war indeß noch mehrere Tage lang
mit Leontin in dem Gebirge herumgeſtrichen, um
Erwin wiederzufinden. Aber alle Nachforſchungen
blieben vergebens. Es blieb ihm nichts übrig, als
auf immer Abſchied zu nehmen von dem lieben We¬
ſen, deſſen wunderbare Nähe ihm durch die lange
Gewohnheit faſt unentbehrlich geworden war.

Rüſtig und neugeſtärkt durch die kühle Wald-
und Bergluft, die wieder einmal ſein ganzes Leben
angeweht, kehrte er in die Reſidenz zurück und
gieng freudiger als jemals wieder an ſeine Studien,
Hoffnungen und Pläne. Aber wie vieles hatte ſich
gar bald verändert. Die braven Geſellen, welche
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[294/0300] Friedrich, wiederſehen. Kaum hatte ſie ſich dieſen Wunſch einmal erlaubt, als ſie auch ſchon auf dem Pferde ſaß und der Reſidenz zuflog. Dieß war da¬ mals, als ſie Friedrich an dem warmen Märzfeſte ſo wild die Menge theilend vorüberreiten ſah. Als ſie nun ihren Geliebten wieder vor ſich ſah, noch immer unverändert ruhig und ſtreng wie vorher, während eine ganz neue Welt in ihr auf- und untergegangen war, da ſchien es ihr unmöglich, ſeine Tugend und Größe zu erreichen. Die beyden vor ihr Leben geſpannten, unbändigen Roſſe, das ſchwarze und das weiße, giengen bey dem Anblick von neuem durch mit ihr, alle ihre ſchönen Pläne lagen unter den heißen Rädern des Wagens zer¬ ſchlagen, ſie ließ die Zügel ſchießen und gab ſich ſelber auf. Friedrich war indeß noch mehrere Tage lang mit Leontin in dem Gebirge herumgeſtrichen, um Erwin wiederzufinden. Aber alle Nachforſchungen blieben vergebens. Es blieb ihm nichts übrig, als auf immer Abſchied zu nehmen von dem lieben We¬ ſen, deſſen wunderbare Nähe ihm durch die lange Gewohnheit faſt unentbehrlich geworden war. Rüſtig und neugeſtärkt durch die kühle Wald- und Bergluft, die wieder einmal ſein ganzes Leben angeweht, kehrte er in die Reſidenz zurück und gieng freudiger als jemals wieder an ſeine Studien, Hoffnungen und Pläne. Aber wie vieles hatte ſich gar bald verändert. Die braven Geſellen, welche der Winter tüchtig zuſammengehalten, zerſtreute

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/300>, abgerufen am 22.11.2024.