ihrem Leben. Es giebt nichts erbarmungswürdige¬ res, als ein reiches, verwildertes Gemüth, das in verzweifelter Erinnerung an seine ursprüngliche alte Güte, sich lüderlich an dem Beßten und Schlechte¬ sten berauscht, um nur jenes Andenkens los zu werden, bis es, so ausgehölt, zu Grunde geht. Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie die Sonne erscheint, die in gleichverbreiteter Klar¬ heit, still und erwärmend, täglich die vorgeschriebe¬ nen Kreise beschreibt, so möchten wir dagegen Ro¬ mana's rasches Leben einer Rackete vergleichen, die sich mit schimmerndem Geprassel zum Himmel auf¬ reißt und oben unter dem Beyfallsgeklatsch der stau¬ nenden Menge in tausend funkelnde Sterne ohne Licht und Wärme prächtig zerplatzt.
Sie hatte die Einfalt, diese Grundkraft aller Tugend, leichtsinnig verspielt; sie kannte gleichsam alle Schliche und Kniffe der Besserung. Sie moch¬ te sich stellen, wie sie wollte, sie konnte, gleich ei¬ nem Somnambulisten, ihre ganze Bekehrungsge¬ schichte wie ein wohlgeschriebenes Gedicht Vers vor Vers inwendig vorauslesen und der Teufel saß ge¬ genüber und lachte ihr dabey immerfort ins Gesicht. In solcher Seelenangst dichtete sie oft die herrlich¬ sten Sachen, aber mitten im Schreiben fiel es ihr ein, wie doch das alles eigentlich nicht wahr sey -- wenn sie bethete, kreutzten ihr häufig unkeusche Ge¬ danken durch den Sinn, daß sie erschrocken auf¬ sprang.
ihrem Leben. Es giebt nichts erbarmungswürdige¬ res, als ein reiches, verwildertes Gemüth, das in verzweifelter Erinnerung an ſeine urſprüngliche alte Güte, ſich lüderlich an dem Beßten und Schlechte¬ ſten berauſcht, um nur jenes Andenkens los zu werden, bis es, ſo ausgehölt, zu Grunde geht. Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie die Sonne erſcheint, die in gleichverbreiteter Klar¬ heit, ſtill und erwärmend, täglich die vorgeſchriebe¬ nen Kreiſe beſchreibt, ſo möchten wir dagegen Ro¬ mana's raſches Leben einer Rackete vergleichen, die ſich mit ſchimmerndem Gepraſſel zum Himmel auf¬ reißt und oben unter dem Beyfallsgeklatſch der ſtau¬ nenden Menge in tauſend funkelnde Sterne ohne Licht und Wärme prächtig zerplatzt.
Sie hatte die Einfalt, dieſe Grundkraft aller Tugend, leichtſinnig verſpielt; ſie kannte gleichſam alle Schliche und Kniffe der Beſſerung. Sie moch¬ te ſich ſtellen, wie ſie wollte, ſie konnte, gleich ei¬ nem Somnambuliſten, ihre ganze Bekehrungsge¬ ſchichte wie ein wohlgeſchriebenes Gedicht Vers vor Vers inwendig vorausleſen und der Teufel ſaß ge¬ genüber und lachte ihr dabey immerfort ins Geſicht. In ſolcher Seelenangſt dichtete ſie oft die herrlich¬ ſten Sachen, aber mitten im Schreiben fiel es ihr ein, wie doch das alles eigentlich nicht wahr ſey — wenn ſie bethete, kreutzten ihr häufig unkeuſche Ge¬ danken durch den Sinn, daß ſie erſchrocken auf¬ ſprang.
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ihrem Leben. Es giebt nichts erbarmungswürdige¬
res, als ein reiches, verwildertes Gemüth, das in
verzweifelter Erinnerung an ſeine urſprüngliche alte
Güte, ſich lüderlich an dem Beßten und Schlechte¬
ſten berauſcht, um nur jenes Andenkens los zu
werden, bis es, ſo ausgehölt, zu Grunde geht.
Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie
die Sonne erſcheint, die in gleichverbreiteter Klar¬
heit, ſtill und erwärmend, täglich die vorgeſchriebe¬
nen Kreiſe beſchreibt, ſo möchten wir dagegen Ro¬
mana's raſches Leben einer Rackete vergleichen, die
ſich mit ſchimmerndem Gepraſſel zum Himmel auf¬
reißt und oben unter dem Beyfallsgeklatſch der ſtau¬
nenden Menge in tauſend funkelnde Sterne ohne
Licht und Wärme prächtig zerplatzt.
Sie hatte die Einfalt, dieſe Grundkraft aller
Tugend, leichtſinnig verſpielt; ſie kannte gleichſam
alle Schliche und Kniffe der Beſſerung. Sie moch¬
te ſich ſtellen, wie ſie wollte, ſie konnte, gleich ei¬
nem Somnambuliſten, ihre ganze Bekehrungsge¬
ſchichte wie ein wohlgeſchriebenes Gedicht Vers vor
Vers inwendig vorausleſen und der Teufel ſaß ge¬
genüber und lachte ihr dabey immerfort ins Geſicht.
In ſolcher Seelenangſt dichtete ſie oft die herrlich¬
ſten Sachen, aber mitten im Schreiben fiel es ihr
ein, wie doch das alles eigentlich nicht wahr ſey —
wenn ſie bethete, kreutzten ihr häufig unkeuſche Ge¬
danken durch den Sinn, daß ſie erſchrocken auf¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/298>, abgerufen am 23.11.2024.
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