wären, nahm das Horn und blies sehr geschickt ein altes schönes Lied. Der eine gesprächige Jäger sag¬ te, es fiele ihm dabey eben ein Lied ein, und sang zu den beyden Grafen mit einer angenehmen Stimme:
Wir sind so tief betrübt, wenn wir auch scherzen,
Die armen Menschen müh'n sich ab und reisen, Die Welt zieht ernst und streng in ihren Gleisen, Ein feuchter Wind verlöscht die lust'gen Kerzen. --
Du hast so schöne Worte tief im Herzen,
Du weist so wunderbare alte Weisen, Und wie die Stern' am Firmamente kreisen, Zieh'n durch die Brust Dir ewig Lust und Schmerzen.
So lass' Dein' Stimme hell im Wald erscheinen!
Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen, Die Wasser geh'n und Rehe einsam weiden.
Wir wollen stille sitzen und nicht weinen,
Wir wollen in den Rhein hinuntersehen, Und, wird es finster auf der Welt, nicht scheiden.
Kaum hatte er die letzten Worte ausgesungen, als Erwin, der durch den Gesang aufgewacht war, und bey einem langen Blitze das Gesicht des ande¬ ren stillen Jägers plötzlich dicht vor sich erblickte, mit einem lauten Schrey aufsprang und sich in dem¬ selben Augenblicke über den Kahn in den Rhein stürzte. Die beyden Jäger schrieen entsetzlich, der Knabe aber schwamm wie ein Fisch durch den Strom und war schnell hinter dem Gesträuch am Ufer ver¬ schwunden. Leontin lenkte sogleich ihm nach an's
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wären, nahm das Horn und blies ſehr geſchickt ein altes ſchönes Lied. Der eine geſprächige Jäger ſag¬ te, es fiele ihm dabey eben ein Lied ein, und ſang zu den beyden Grafen mit einer angenehmen Stimme:
Wir ſind ſo tief betrübt, wenn wir auch ſcherzen,
Die armen Menſchen müh'n ſich ab und reiſen, Die Welt zieht ernſt und ſtreng in ihren Gleiſen, Ein feuchter Wind verlöſcht die luſt'gen Kerzen. —
Du haſt ſo ſchöne Worte tief im Herzen,
Du weiſt ſo wunderbare alte Weiſen, Und wie die Stern' am Firmamente kreiſen, Zieh'n durch die Bruſt Dir ewig Luſt und Schmerzen.
So laſſ' Dein' Stimme hell im Wald erſcheinen!
Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen, Die Waſſer geh'n und Rehe einſam weiden.
Wir wollen ſtille ſitzen und nicht weinen,
Wir wollen in den Rhein hinunterſehen, Und, wird es finſter auf der Welt, nicht ſcheiden.
Kaum hatte er die letzten Worte ausgeſungen, als Erwin, der durch den Geſang aufgewacht war, und bey einem langen Blitze das Geſicht des ande¬ ren ſtillen Jägers plötzlich dicht vor ſich erblickte, mit einem lauten Schrey aufſprang und ſich in dem¬ ſelben Augenblicke über den Kahn in den Rhein ſtürzte. Die beyden Jäger ſchrieen entſetzlich, der Knabe aber ſchwamm wie ein Fiſch durch den Strom und war ſchnell hinter dem Geſträuch am Ufer ver¬ ſchwunden. Leontin lenkte ſogleich ihm nach an's
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wären, nahm das Horn und blies ſehr geſchickt ein
altes ſchönes Lied. Der eine geſprächige Jäger ſag¬
te, es fiele ihm dabey eben ein Lied ein, und ſang
zu den beyden Grafen mit einer angenehmen
Stimme:
Wir ſind ſo tief betrübt, wenn wir auch ſcherzen,
Die armen Menſchen müh'n ſich ab und reiſen,
Die Welt zieht ernſt und ſtreng in ihren Gleiſen,
Ein feuchter Wind verlöſcht die luſt'gen Kerzen. —
Du haſt ſo ſchöne Worte tief im Herzen,
Du weiſt ſo wunderbare alte Weiſen,
Und wie die Stern' am Firmamente kreiſen,
Zieh'n durch die Bruſt Dir ewig Luſt und Schmerzen.
So laſſ' Dein' Stimme hell im Wald erſcheinen!
Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen,
Die Waſſer geh'n und Rehe einſam weiden.
Wir wollen ſtille ſitzen und nicht weinen,
Wir wollen in den Rhein hinunterſehen,
Und, wird es finſter auf der Welt, nicht ſcheiden.
Kaum hatte er die letzten Worte ausgeſungen,
als Erwin, der durch den Geſang aufgewacht war,
und bey einem langen Blitze das Geſicht des ande¬
ren ſtillen Jägers plötzlich dicht vor ſich erblickte,
mit einem lauten Schrey aufſprang und ſich in dem¬
ſelben Augenblicke über den Kahn in den Rhein
ſtürzte. Die beyden Jäger ſchrieen entſetzlich, der
Knabe aber ſchwamm wie ein Fiſch durch den Strom
und war ſchnell hinter dem Geſträuch am Ufer ver¬
ſchwunden. Leontin lenkte ſogleich ihm nach an's
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/295>, abgerufen am 16.02.2025.
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