Don Karlos sehe ich auf einer Felsenspitze den Bat¬ terien des Gewitters gegenüber, er steht die Arme über der Brust verschränkt, den Hut tief in die Au¬ gen gedrückt, den einen Fuß trotzig vorwärts, pfuy, pfuy, über den Hochmuth! Den Rhein seh' ich kom¬ men, zu dem alle Flüsse des Landes flüchten, lang¬ sam und dunkelgrün, Schiffe rudern eilig ans Ufer, eines seh' ich mit Gott gradaus fahren, fahre, herr¬ licher Strom! Wie Gottes Flügel rauschen und die Wälder sich neigen, und die Welt still wird, wenn der Herr mit ihr spricht. Wo ist dein Witz, deine Pracht, deine Genialität? Warum wird unten auf den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein Meer, und nur die Burgen stehen einzeln und un¬ terschieden zwischen den wehenden Glockenklängen und schweifenden Blitzen. Du könntest mich wahn¬ witzig machen unten erschreckliches Bild meiner Zeit, wo das zertrümmerte Alte in einsamer Höhe steht, wo nur das Einzelne gilt und sich, schroff und scharf im Sonnenlichte abgezeichnet, hervorhebt, während das Ganze in farblosen Massen Gestaltlos liegt, wie ein ungeheuerer, grauer Vorhang, an dem unsere Gedanken, gleich Riesenschatten aus ei¬ ner anderen Welt, sich abarbeiten. -- Der Wind verwehte seine Worte in die gränzenlose Luft. Es regnete schon lange. Der Regen und der Sturm wurden endlich so heftig, daß er sich nicht mehr auf dem Baume erhalten konnte. Er stieg herab und sie kehrten zu der Burg zurück.
Don Karlos ſehe ich auf einer Felſenſpitze den Bat¬ terien des Gewitters gegenüber, er ſteht die Arme über der Bruſt verſchränkt, den Hut tief in die Au¬ gen gedrückt, den einen Fuß trotzig vorwärts, pfuy, pfuy, über den Hochmuth! Den Rhein ſeh' ich kom¬ men, zu dem alle Flüſſe des Landes flüchten, lang¬ ſam und dunkelgrün, Schiffe rudern eilig ans Ufer, eines ſeh' ich mit Gott gradaus fahren, fahre, herr¬ licher Strom! Wie Gottes Flügel rauſchen und die Wälder ſich neigen, und die Welt ſtill wird, wenn der Herr mit ihr ſpricht. Wo iſt dein Witz, deine Pracht, deine Genialität? Warum wird unten auf den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein Meer, und nur die Burgen ſtehen einzeln und un¬ terſchieden zwiſchen den wehenden Glockenklängen und ſchweifenden Blitzen. Du könnteſt mich wahn¬ witzig machen unten erſchreckliches Bild meiner Zeit, wo das zertrümmerte Alte in einſamer Höhe ſteht, wo nur das Einzelne gilt und ſich, ſchroff und ſcharf im Sonnenlichte abgezeichnet, hervorhebt, während das Ganze in farbloſen Maſſen Geſtaltlos liegt, wie ein ungeheuerer, grauer Vorhang, an dem unſere Gedanken, gleich Rieſenſchatten aus ei¬ ner anderen Welt, ſich abarbeiten. — Der Wind verwehte ſeine Worte in die gränzenloſe Luft. Es regnete ſchon lange. Der Regen und der Sturm wurden endlich ſo heftig, daß er ſich nicht mehr auf dem Baume erhalten konnte. Er ſtieg herab und ſie kehrten zu der Burg zurück.
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Don Karlos ſehe ich auf einer Felſenſpitze den Bat¬
terien des Gewitters gegenüber, er ſteht die Arme
über der Bruſt verſchränkt, den Hut tief in die Au¬
gen gedrückt, den einen Fuß trotzig vorwärts, pfuy,
pfuy, über den Hochmuth! Den Rhein ſeh' ich kom¬
men, zu dem alle Flüſſe des Landes flüchten, lang¬
ſam und dunkelgrün, Schiffe rudern eilig ans Ufer,
eines ſeh' ich mit Gott gradaus fahren, fahre, herr¬
licher Strom! Wie Gottes Flügel rauſchen und die
Wälder ſich neigen, und die Welt ſtill wird, wenn
der Herr mit ihr ſpricht. Wo iſt dein Witz, deine
Pracht, deine Genialität? Warum wird unten auf
den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein
Meer, und nur die Burgen ſtehen einzeln und un¬
terſchieden zwiſchen den wehenden Glockenklängen
und ſchweifenden Blitzen. Du könnteſt mich wahn¬
witzig machen unten erſchreckliches Bild meiner Zeit,
wo das zertrümmerte Alte in einſamer Höhe ſteht,
wo nur das Einzelne gilt und ſich, ſchroff und
ſcharf im Sonnenlichte abgezeichnet, hervorhebt,
während das Ganze in farbloſen Maſſen Geſtaltlos
liegt, wie ein ungeheuerer, grauer Vorhang, an
dem unſere Gedanken, gleich Rieſenſchatten aus ei¬
ner anderen Welt, ſich abarbeiten. — Der Wind
verwehte ſeine Worte in die gränzenloſe Luft. Es
regnete ſchon lange. Der Regen und der Sturm
wurden endlich ſo heftig, daß er ſich nicht mehr auf
dem Baume erhalten konnte. Er ſtieg herab und
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/289>, abgerufen am 23.11.2024.
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