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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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wirft ein magnetischer Zug einander an die männ¬
liche Brust, und der ewige Bund ist ohne Wort
geschlossen in des Eichwalds heiligen Schatten, wenn
die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust. --
Bey diesen Worten fiel ihm ein Buch aus der
Tasche. Sie verlieren ihre Noten, sagte Leontin,
Schillers Don Karlos erkennend. Warum Noten?
fragte der Fremde. Darum, sagte Leontin, weil
euch die ganze Natur nur der Text dazu ist, den ihr
nach den Dingern da aborgelt, und je schwieriger
und würgender die Koleraturen sind, daß ihr davon
ganz roth und blau im Gesicht werdet, und die
Thränen sammt den Augen heraustreten, je begei¬
sterter und gerührter seyd ihr. Macht doch die Au¬
gen fest zu in der Musik und im Sausen des Wal¬
des, daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor
allem!

Der Fremde wußte nicht recht, was er darauf
antworten sollte. Leontin fand ihn zuletzt gar pos¬
sierlich; sie giengen und sprachen noch viel zusammen
und es fand sich am Ende, daß er ein abgedankter
Liebhaber der Schmachtenden in der Residenz sey,
den er früher manchmal bey ihr gesehen. Der Ein¬
klang der Seelen hatte sie zusammen, und ich weiß
nicht was wieder auseinander geführt. Er rühmte
viel, wie dieses Seelenvolle Weib mit Geschmack, treu
und tugendhaft liebe. Treu? -- sie ist ja verhey¬
rathet, sagte Friedrich unschuldig. Ey, was! fiel
ihm Leontin ins Wort, diese Alwina's, diese neuen
Heloisen, diese Erbschleicherinnen der Tugend sind

wirft ein magnetiſcher Zug einander an die männ¬
liche Bruſt, und der ewige Bund iſt ohne Wort
geſchloſſen in des Eichwalds heiligen Schatten, wenn
die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust. —
Bey dieſen Worten fiel ihm ein Buch aus der
Taſche. Sie verlieren ihre Noten, ſagte Leontin,
Schillers Don Karlos erkennend. Warum Noten?
fragte der Fremde. Darum, ſagte Leontin, weil
euch die ganze Natur nur der Text dazu iſt, den ihr
nach den Dingern da aborgelt, und je ſchwieriger
und würgender die Koleraturen ſind, daß ihr davon
ganz roth und blau im Geſicht werdet, und die
Thränen ſammt den Augen heraustreten, je begei¬
ſterter und gerührter ſeyd ihr. Macht doch die Au¬
gen feſt zu in der Muſik und im Sauſen des Wal¬
des, daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor
allem!

Der Fremde wußte nicht recht, was er darauf
antworten ſollte. Leontin fand ihn zuletzt gar poſ¬
ſierlich; ſie giengen und ſprachen noch viel zuſammen
und es fand ſich am Ende, daß er ein abgedankter
Liebhaber der Schmachtenden in der Reſidenz ſey,
den er früher manchmal bey ihr geſehen. Der Ein¬
klang der Seelen hatte ſie zuſammen, und ich weiß
nicht was wieder auseinander geführt. Er rühmte
viel, wie dieſes Seelenvolle Weib mit Geſchmack, treu
und tugendhaft liebe. Treu? — ſie iſt ja verhey¬
rathet, ſagte Friedrich unſchuldig. Ey, was! fiel
ihm Leontin ins Wort, dieſe Alwina's, dieſe neuen
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[281/0287] wirft ein magnetiſcher Zug einander an die männ¬ liche Bruſt, und der ewige Bund iſt ohne Wort geſchloſſen in des Eichwalds heiligen Schatten, wenn die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust. — Bey dieſen Worten fiel ihm ein Buch aus der Taſche. Sie verlieren ihre Noten, ſagte Leontin, Schillers Don Karlos erkennend. Warum Noten? fragte der Fremde. Darum, ſagte Leontin, weil euch die ganze Natur nur der Text dazu iſt, den ihr nach den Dingern da aborgelt, und je ſchwieriger und würgender die Koleraturen ſind, daß ihr davon ganz roth und blau im Geſicht werdet, und die Thränen ſammt den Augen heraustreten, je begei¬ ſterter und gerührter ſeyd ihr. Macht doch die Au¬ gen feſt zu in der Muſik und im Sauſen des Wal¬ des, daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor allem! Der Fremde wußte nicht recht, was er darauf antworten ſollte. Leontin fand ihn zuletzt gar poſ¬ ſierlich; ſie giengen und ſprachen noch viel zuſammen und es fand ſich am Ende, daß er ein abgedankter Liebhaber der Schmachtenden in der Reſidenz ſey, den er früher manchmal bey ihr geſehen. Der Ein¬ klang der Seelen hatte ſie zuſammen, und ich weiß nicht was wieder auseinander geführt. Er rühmte viel, wie dieſes Seelenvolle Weib mit Geſchmack, treu und tugendhaft liebe. Treu? — ſie iſt ja verhey¬ rathet, ſagte Friedrich unſchuldig. Ey, was! fiel ihm Leontin ins Wort, dieſe Alwina's, dieſe neuen Heloiſen, dieſe Erbſchleicherinnen der Tugend ſind

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/287>, abgerufen am 23.11.2024.