nen. Er sah darauf den Knaben ernsthaft und ver¬ wundert an, der es nicht bemerkte.
Erwin blieb in dem Fensterbogen sitzen, sie aber durchzogen das Schloß und den Berg in die Run¬ de. Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen beugten sich überall über die dunklen Trümmer der Burg, der Wald rauschte kühl, Quellen sprangen in hellen, frischlichen Bogen von den Steinen, un¬ zählige Vögel sangen, von allen Seiten die uner¬ meßliche Aussicht, die Sonne schien warm über der Fläche in tausend Strömen sich spiegelnd, es war, als sey die Natur hier rüstiger und lebendiger vor Erinnerung im Angesicht des Rheins und der alten Zeit. Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt, rief Leontin fröhlich aus.
Willkommen, Freund, Bruder! sagte da auf einmal eine Stimme mit Pathos, und ein fremder junger Mann, den sie vorher nicht bemerkt hatten, faßte Leontin'n fest bey der Hand. Ach, was Bru¬ der! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die uner¬ wartete Störung. Der Fremde ließ sich nicht ab¬ schrecken, sondern sagte: Jene Worte logen nicht, Sie sind ein Verehrer der Natur, ich bin auch stolz auf diesen Nahmen. Wahrhaftig, mein Herr, er¬ wiederte Leontin geschwind sich komisch erwehrend, Sie irren sich entsetzlich, ich bin weder biederher¬ zig, wie Sie sich vorstellen, noch begeistert, noch ein Verehrer der Natur, noch --. Der Fremde fuhr ganz blinderpicht fort: Lassen Sie die Gewöhn¬ lichen sich ewig suchen und verfehlen, die Seltenen
nen. Er ſah darauf den Knaben ernſthaft und ver¬ wundert an, der es nicht bemerkte.
Erwin blieb in dem Fenſterbogen ſitzen, ſie aber durchzogen das Schloß und den Berg in die Run¬ de. Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen beugten ſich überall über die dunklen Trümmer der Burg, der Wald rauſchte kühl, Quellen ſprangen in hellen, friſchlichen Bogen von den Steinen, un¬ zählige Vögel ſangen, von allen Seiten die uner¬ meßliche Ausſicht, die Sonne ſchien warm über der Fläche in tauſend Strömen ſich ſpiegelnd, es war, als ſey die Natur hier rüſtiger und lebendiger vor Erinnerung im Angeſicht des Rheins und der alten Zeit. Wo ein Begeiſterter ſteht, iſt der Gipfel der Welt, rief Leontin fröhlich aus.
Willkommen, Freund, Bruder! ſagte da auf einmal eine Stimme mit Pathos, und ein fremder junger Mann, den ſie vorher nicht bemerkt hatten, faßte Leontin'n feſt bey der Hand. Ach, was Bru¬ der! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die uner¬ wartete Störung. Der Fremde ließ ſich nicht ab¬ ſchrecken, ſondern ſagte: Jene Worte logen nicht, Sie ſind ein Verehrer der Natur, ich bin auch ſtolz auf dieſen Nahmen. Wahrhaftig, mein Herr, er¬ wiederte Leontin geſchwind ſich komiſch erwehrend, Sie irren ſich entſetzlich, ich bin weder biederher¬ zig, wie Sie ſich vorſtellen, noch begeiſtert, noch ein Verehrer der Natur, noch —. Der Fremde fuhr ganz blinderpicht fort: Laſſen Sie die Gewöhn¬ lichen ſich ewig ſuchen und verfehlen, die Seltenen
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nen. Er ſah darauf den Knaben ernſthaft und ver¬
wundert an, der es nicht bemerkte.
Erwin blieb in dem Fenſterbogen ſitzen, ſie aber
durchzogen das Schloß und den Berg in die Run¬
de. Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen
beugten ſich überall über die dunklen Trümmer der
Burg, der Wald rauſchte kühl, Quellen ſprangen
in hellen, friſchlichen Bogen von den Steinen, un¬
zählige Vögel ſangen, von allen Seiten die uner¬
meßliche Ausſicht, die Sonne ſchien warm über der
Fläche in tauſend Strömen ſich ſpiegelnd, es war,
als ſey die Natur hier rüſtiger und lebendiger vor
Erinnerung im Angeſicht des Rheins und der alten
Zeit. Wo ein Begeiſterter ſteht, iſt der Gipfel der
Welt, rief Leontin fröhlich aus.
Willkommen, Freund, Bruder! ſagte da auf
einmal eine Stimme mit Pathos, und ein fremder
junger Mann, den ſie vorher nicht bemerkt hatten,
faßte Leontin'n feſt bey der Hand. Ach, was Bru¬
der! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die uner¬
wartete Störung. Der Fremde ließ ſich nicht ab¬
ſchrecken, ſondern ſagte: Jene Worte logen nicht,
Sie ſind ein Verehrer der Natur, ich bin auch ſtolz
auf dieſen Nahmen. Wahrhaftig, mein Herr, er¬
wiederte Leontin geſchwind ſich komiſch erwehrend,
Sie irren ſich entſetzlich, ich bin weder biederher¬
zig, wie Sie ſich vorſtellen, noch begeiſtert, noch
ein Verehrer der Natur, noch —. Der Fremde
fuhr ganz blinderpicht fort: Laſſen Sie die Gewöhn¬
lichen ſich ewig ſuchen und verfehlen, die Seltenen
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/286>, abgerufen am 23.11.2024.
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