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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Leontin lachte helllaut, Du nimmst solche Sachen
viel zu ernsthaft und wichtiger als sie sind, sagte
er. Alle Figuren dieses Schauspiels sind übrigens
auch von meiner Bekanntschaft, ich möchte aber nur
wissen, was sie seit der Zeit, daß ich sie nicht ge¬
sehen, angefangen haben, denn wie ich so eben hö¬
re, hat sich seitdem, auch nicht das mindeste in ihnen
verändert. Diese Leute schreiten fleissig von einem
Meßkatalog zum andern mit der Zeit fort, aber
man spürt nicht, daß die Zeit auch nur um einen
Zoll durch sie weiter fortrückte. Ich kann dir jedoch
im Gegentheil versichern, daß ich nicht bald so lustig
war, als an jenem Abend, da ich zum erstenmale
in diese Theetaufe oder Traufe gerieth. Aller Au¬
gen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille
auf mich neuen Jünger gerichtet. Da ich die ganze
heilige Synode gleich den Freymaurern mit Schurz
und Kelle, so feyerlich mit poetischem Ornate ange¬
than dasitzen sah, konnt' ich mich nicht enthalten,
despektirlich von der Poesie zu sprechen und mit un¬
ermüdlichem Eifer ein Gespräch von der Landwirth¬
schaft, von den Runkelrüben u. s. w. anzuspinnen,
so daß die Damen wie über den Dampf von Kuh¬
mist die Nasen rümpften und mich bald für verloh¬
ren hielten. Mit dem Schmachtenden unterhielt ich
mich besonders viel. Er ist ein guter Kerl, aber er
hat keine Mannsmuskel im Leibe. Ich weiß nicht,
was er grade damals für eine fixe Idee von der
Dichtkunst im Kopfe hatte, aber er las ein Gedicht
vor, wovon ich trotz der größten Anstrengung nichts

Leontin lachte helllaut, Du nimmſt ſolche Sachen
viel zu ernſthaft und wichtiger als ſie ſind, ſagte
er. Alle Figuren dieſes Schauſpiels ſind übrigens
auch von meiner Bekanntſchaft, ich möchte aber nur
wiſſen, was ſie ſeit der Zeit, daß ich ſie nicht ge¬
ſehen, angefangen haben, denn wie ich ſo eben hö¬
re, hat ſich ſeitdem, auch nicht das mindeſte in ihnen
verändert. Dieſe Leute ſchreiten fleiſſig von einem
Meßkatalog zum andern mit der Zeit fort, aber
man ſpürt nicht, daß die Zeit auch nur um einen
Zoll durch ſie weiter fortrückte. Ich kann dir jedoch
im Gegentheil verſichern, daß ich nicht bald ſo luſtig
war, als an jenem Abend, da ich zum erſtenmale
in dieſe Theetaufe oder Traufe gerieth. Aller Au¬
gen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille
auf mich neuen Jünger gerichtet. Da ich die ganze
heilige Synode gleich den Freymaurern mit Schurz
und Kelle, ſo feyerlich mit poetiſchem Ornate ange¬
than daſitzen ſah, konnt' ich mich nicht enthalten,
deſpektirlich von der Poeſie zu ſprechen und mit un¬
ermüdlichem Eifer ein Geſpräch von der Landwirth¬
ſchaft, von den Runkelrüben u. ſ. w. anzuſpinnen,
ſo daß die Damen wie über den Dampf von Kuh¬
miſt die Naſen rümpften und mich bald für verloh¬
ren hielten. Mit dem Schmachtenden unterhielt ich
mich beſonders viel. Er iſt ein guter Kerl, aber er
hat keine Mannsmuſkel im Leibe. Ich weiß nicht,
was er grade damals für eine fixe Idee von der
Dichtkunſt im Kopfe hatte, aber er las ein Gedicht
vor, wovon ich trotz der größten Anſtrengung nichts

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[236/0242] Leontin lachte helllaut, Du nimmſt ſolche Sachen viel zu ernſthaft und wichtiger als ſie ſind, ſagte er. Alle Figuren dieſes Schauſpiels ſind übrigens auch von meiner Bekanntſchaft, ich möchte aber nur wiſſen, was ſie ſeit der Zeit, daß ich ſie nicht ge¬ ſehen, angefangen haben, denn wie ich ſo eben hö¬ re, hat ſich ſeitdem, auch nicht das mindeſte in ihnen verändert. Dieſe Leute ſchreiten fleiſſig von einem Meßkatalog zum andern mit der Zeit fort, aber man ſpürt nicht, daß die Zeit auch nur um einen Zoll durch ſie weiter fortrückte. Ich kann dir jedoch im Gegentheil verſichern, daß ich nicht bald ſo luſtig war, als an jenem Abend, da ich zum erſtenmale in dieſe Theetaufe oder Traufe gerieth. Aller Au¬ gen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille auf mich neuen Jünger gerichtet. Da ich die ganze heilige Synode gleich den Freymaurern mit Schurz und Kelle, ſo feyerlich mit poetiſchem Ornate ange¬ than daſitzen ſah, konnt' ich mich nicht enthalten, deſpektirlich von der Poeſie zu ſprechen und mit un¬ ermüdlichem Eifer ein Geſpräch von der Landwirth¬ ſchaft, von den Runkelrüben u. ſ. w. anzuſpinnen, ſo daß die Damen wie über den Dampf von Kuh¬ miſt die Naſen rümpften und mich bald für verloh¬ ren hielten. Mit dem Schmachtenden unterhielt ich mich beſonders viel. Er iſt ein guter Kerl, aber er hat keine Mannsmuſkel im Leibe. Ich weiß nicht, was er grade damals für eine fixe Idee von der Dichtkunſt im Kopfe hatte, aber er las ein Gedicht vor, wovon ich trotz der größten Anſtrengung nichts

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/242>, abgerufen am 23.11.2024.