hinausgelockt. Sie war seit seiner Trennung von Leontinen die einzige, zu der er von allem reden konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Un¬ terhaltung mit ihr war ihm fast schon zum Bedürf¬ niß geworden.
Der Weg war eben so anmuthig als der Mor¬ gen. Er kam bald an einen, von beyden Seiten eng von Bergen eingeschlossenen, Fluß, an dem die Strasse hinablief. Die Wälder, welche die schönen Berge bedeckten, waren schon überall mit gelben und rothen Blättern bunt geschmückt, Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abschieds¬ tönen, die Friedrich' n jedesmal wunderbar an seine Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht entwachsen, einzig von ihren Blicken und Gaben lebte.
Einige Stunden war er so zwischen den einsa¬ men Bergschluchten hingeritten, als er am jenseiti¬ gen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immer¬ fort zu begleiten schien, und vom Echo in den grü¬ nen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor, als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Ru¬ fen wieder auf und Friedrich fieng nun an zu be¬ merken, daß er einen unrechten Weg eingeschlagen haben müsse, denn die grünen Bergesgänge wollten kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher seine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Gebir¬
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hinausgelockt. Sie war ſeit ſeiner Trennung von Leontinen die einzige, zu der er von allem reden konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Un¬ terhaltung mit ihr war ihm faſt ſchon zum Bedürf¬ niß geworden.
Der Weg war eben ſo anmuthig als der Mor¬ gen. Er kam bald an einen, von beyden Seiten eng von Bergen eingeſchloſſenen, Fluß, an dem die Straſſe hinablief. Die Wälder, welche die ſchönen Berge bedeckten, waren ſchon überall mit gelben und rothen Blättern bunt geſchmückt, Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abſchieds¬ tönen, die Friedrich' n jedesmal wunderbar an ſeine Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht entwachſen, einzig von ihren Blicken und Gaben lebte.
Einige Stunden war er ſo zwiſchen den einſa¬ men Bergſchluchten hingeritten, als er am jenſeiti¬ gen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immer¬ fort zu begleiten ſchien, und vom Echo in den grü¬ nen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor, als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Ru¬ fen wieder auf und Friedrich fieng nun an zu be¬ merken, daß er einen unrechten Weg eingeſchlagen haben müſſe, denn die grünen Bergesgänge wollten kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher ſeine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Gebir¬
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hinausgelockt. Sie war ſeit ſeiner Trennung von
Leontinen die einzige, zu der er von allem reden
konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Un¬
terhaltung mit ihr war ihm faſt ſchon zum Bedürf¬
niß geworden.
Der Weg war eben ſo anmuthig als der Mor¬
gen. Er kam bald an einen, von beyden Seiten
eng von Bergen eingeſchloſſenen, Fluß, an dem
die Straſſe hinablief. Die Wälder, welche die
ſchönen Berge bedeckten, waren ſchon überall mit
gelben und rothen Blättern bunt geſchmückt, Vögel
reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und
erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abſchieds¬
tönen, die Friedrich' n jedesmal wunderbar an ſeine
Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht
entwachſen, einzig von ihren Blicken und Gaben
lebte.
Einige Stunden war er ſo zwiſchen den einſa¬
men Bergſchluchten hingeritten, als er am jenſeiti¬
gen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immer¬
fort zu begleiten ſchien, und vom Echo in den grü¬
nen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je
länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor,
als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Ru¬
fen wieder auf und Friedrich fieng nun an zu be¬
merken, daß er einen unrechten Weg eingeſchlagen
haben müſſe, denn die grünen Bergesgänge wollten
kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher ſeine Eile
und kam bald darauf an den Ausgang des Gebir¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/233>, abgerufen am 23.11.2024.
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