Hier hielt der Mann ernsthaft inne. Ich lese seitdem fleissig, fuhr er nach einer kleinen Pause gesammelt fort; vieles in den Dichtern bleibt mir durchaus unverständlich, aber ich lerne täglich in mir und in den Menschen und Dingen um mich vie¬ les einseh'n und lösen, was mir sonst wohl unbe¬ greiflich war und mich unbeschreiblich bedrückte. Ich befinde mich jezt viel wohler.
Friedrich'n hatte diese einfache Erzählung ge¬ rührt. Er sah den Mann aufmerksam an und be¬ merkte in seinem starkgezeichneten Gesicht einen ein¬ zigen sonderbar dunklen Zug, der aussah wie Un¬ glück und vor dem ihn schauderte. Er wollte ihn eben noch um einiges fragen, das in der Geschichte besonders seine Aufmerksamkeit erregt hatte, aber der dythirambische Thyrsusschwinger, der unterdeß bey den Damen seinen Witz unermüdet hatte leuch¬ ten lassen, lenkte ihn davon ab, indem er sich plötz¬ lich mit sehr heftigen Bitten zu dem guten Schmach¬ tenden wandte, ihnen noch einige seiner vortreffli¬ chen Sonette vorzulesen, obschon er, wie Friedrich gar wohl gehört, die ganze Zeit über grade diese Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt seines Witzes und Spottes gemacht hatte. Friedrich'n empörte diese herzlose, doppelzüngige Teufeley; er kehrte sich schnell zu dem Schmachtenden, der neben ihm stand, und sagte: Ihre Gedichte gefallen mir ganz und gar nicht. Der Schmachtende machte gro¬ ße Augen, und niemand von der Gesellschaft ver¬ stand Friedrichs großmüthige Meynung. Der Dy¬
Hier hielt der Mann ernſthaft inne. Ich leſe ſeitdem fleiſſig, fuhr er nach einer kleinen Pauſe geſammelt fort; vieles in den Dichtern bleibt mir durchaus unverſtändlich, aber ich lerne täglich in mir und in den Menſchen und Dingen um mich vie¬ les einſeh'n und löſen, was mir ſonſt wohl unbe¬ greiflich war und mich unbeſchreiblich bedrückte. Ich befinde mich jezt viel wohler.
Friedrich'n hatte dieſe einfache Erzählung ge¬ rührt. Er ſah den Mann aufmerkſam an und be¬ merkte in ſeinem ſtarkgezeichneten Geſicht einen ein¬ zigen ſonderbar dunklen Zug, der ausſah wie Un¬ glück und vor dem ihn ſchauderte. Er wollte ihn eben noch um einiges fragen, das in der Geſchichte beſonders ſeine Aufmerkſamkeit erregt hatte, aber der dythirambiſche Thyrſusſchwinger, der unterdeß bey den Damen ſeinen Witz unermüdet hatte leuch¬ ten laſſen, lenkte ihn davon ab, indem er ſich plötz¬ lich mit ſehr heftigen Bitten zu dem guten Schmach¬ tenden wandte, ihnen noch einige ſeiner vortreffli¬ chen Sonette vorzuleſen, obſchon er, wie Friedrich gar wohl gehört, die ganze Zeit über grade dieſe Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt ſeines Witzes und Spottes gemacht hatte. Friedrich'n empörte dieſe herzloſe, doppelzüngige Teufeley; er kehrte ſich ſchnell zu dem Schmachtenden, der neben ihm ſtand, und ſagte: Ihre Gedichte gefallen mir ganz und gar nicht. Der Schmachtende machte gro¬ ße Augen, und niemand von der Geſellſchaft ver¬ ſtand Friedrichs großmüthige Meynung. Der Dy¬
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Hier hielt der Mann ernſthaft inne. Ich leſe
ſeitdem fleiſſig, fuhr er nach einer kleinen Pauſe
geſammelt fort; vieles in den Dichtern bleibt mir
durchaus unverſtändlich, aber ich lerne täglich in
mir und in den Menſchen und Dingen um mich vie¬
les einſeh'n und löſen, was mir ſonſt wohl unbe¬
greiflich war und mich unbeſchreiblich bedrückte. Ich
befinde mich jezt viel wohler.
Friedrich'n hatte dieſe einfache Erzählung ge¬
rührt. Er ſah den Mann aufmerkſam an und be¬
merkte in ſeinem ſtarkgezeichneten Geſicht einen ein¬
zigen ſonderbar dunklen Zug, der ausſah wie Un¬
glück und vor dem ihn ſchauderte. Er wollte ihn
eben noch um einiges fragen, das in der Geſchichte
beſonders ſeine Aufmerkſamkeit erregt hatte, aber
der dythirambiſche Thyrſusſchwinger, der unterdeß
bey den Damen ſeinen Witz unermüdet hatte leuch¬
ten laſſen, lenkte ihn davon ab, indem er ſich plötz¬
lich mit ſehr heftigen Bitten zu dem guten Schmach¬
tenden wandte, ihnen noch einige ſeiner vortreffli¬
chen Sonette vorzuleſen, obſchon er, wie Friedrich
gar wohl gehört, die ganze Zeit über grade dieſe
Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt ſeines
Witzes und Spottes gemacht hatte. Friedrich'n
empörte dieſe herzloſe, doppelzüngige Teufeley; er
kehrte ſich ſchnell zu dem Schmachtenden, der neben
ihm ſtand, und ſagte: Ihre Gedichte gefallen mir
ganz und gar nicht. Der Schmachtende machte gro¬
ße Augen, und niemand von der Geſellſchaft ver¬
ſtand Friedrichs großmüthige Meynung. Der Dy¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/228>, abgerufen am 25.11.2024.
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