Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

ten, von denen er selber manche kaum dem Nahmen
nach kannte, wie leicht sie mit Nahmen herumwar¬
fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬
sprechen gewohnt war. Unter ihnen schien besonders
ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in
einem gewissen Glauben und Anseh'n zu stehen.
Die Frauenzimmer sahen ihn beständig an, wenn
es darauf ankam, ein Urtheil zu sagen, und such¬
ten in seinem Gesichte seinen Beyfall oder Tadel im
voraus herauszulesen, um sich nicht etwa mit etwas
Abgeschmacktem zu prostituiren. Er hatte viele ge¬
nialische Reisen gemacht, in den meisten Hauptstäd¬
ten auf öffentlicher Strasse auf seine eigne Faust
Ball gespielt, Kotzebue'n einmal in einer Gesell¬
schaft in den Sack gesprochen, fast mit allen be¬
rühmten Schriftstellern zu Mittag gespeißt oder klei¬
ne Fußreisen gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬
lich zu keiner Parthey; er übersah alle weit und
belächelte die entgegengesetzten Gesinnungen und
Bestrebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬
losophen oder Dichtern: Er war sich der Lichtpunkt
dieser verschiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren
alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit
einem nachlässig mystischen Anstrich, und die Frauen¬
zimmer erstaunten nicht über das, was er sagte,
sondern was er, in der Ueberzeugung nicht verstan¬
den zu werden, zu verschweigen schien.

Wenn dieser heimlich die Meynung zu regieren
schien, so führte dagegen ein anderer fast einzig
das hohe Wort. Es war ein junger, voller Mensch

ten, von denen er ſelber manche kaum dem Nahmen
nach kannte, wie leicht ſie mit Nahmen herumwar¬
fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬
ſprechen gewohnt war. Unter ihnen ſchien beſonders
ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in
einem gewiſſen Glauben und Anſeh'n zu ſtehen.
Die Frauenzimmer ſahen ihn beſtändig an, wenn
es darauf ankam, ein Urtheil zu ſagen, und ſuch¬
ten in ſeinem Geſichte ſeinen Beyfall oder Tadel im
voraus herauszuleſen, um ſich nicht etwa mit etwas
Abgeſchmacktem zu proſtituiren. Er hatte viele ge¬
nialiſche Reiſen gemacht, in den meiſten Hauptſtäd¬
ten auf öffentlicher Straſſe auf ſeine eigne Fauſt
Ball geſpielt, Kotzebue'n einmal in einer Geſell¬
ſchaft in den Sack geſprochen, faſt mit allen be¬
rühmten Schriftſtellern zu Mittag geſpeißt oder klei¬
ne Fußreiſen gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬
lich zu keiner Parthey; er überſah alle weit und
belächelte die entgegengeſetzten Geſinnungen und
Beſtrebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬
loſophen oder Dichtern: Er war ſich der Lichtpunkt
dieſer verſchiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren
alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit
einem nachläſſig myſtiſchen Anſtrich, und die Frauen¬
zimmer erſtaunten nicht über das, was er ſagte,
ſondern was er, in der Ueberzeugung nicht verſtan¬
den zu werden, zu verſchweigen ſchien.

Wenn dieſer heimlich die Meynung zu regieren
ſchien, ſo führte dagegen ein anderer faſt einzig
das hohe Wort. Es war ein junger, voller Menſch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="204"/>
ten, von denen er &#x017F;elber manche kaum dem Nahmen<lb/>
nach kannte, wie leicht &#x017F;ie mit Nahmen herumwar¬<lb/>
fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬<lb/>
&#x017F;prechen gewohnt war. Unter ihnen &#x017F;chien be&#x017F;onders<lb/>
ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in<lb/>
einem gewi&#x017F;&#x017F;en Glauben und An&#x017F;eh'n zu &#x017F;tehen.<lb/>
Die Frauenzimmer &#x017F;ahen ihn be&#x017F;tändig an, wenn<lb/>
es darauf ankam, ein Urtheil zu &#x017F;agen, und &#x017F;uch¬<lb/>
ten in &#x017F;einem Ge&#x017F;ichte &#x017F;einen Beyfall oder Tadel im<lb/>
voraus herauszule&#x017F;en, um &#x017F;ich nicht etwa mit etwas<lb/>
Abge&#x017F;chmacktem zu pro&#x017F;tituiren. Er hatte viele ge¬<lb/>
niali&#x017F;che Rei&#x017F;en gemacht, in den mei&#x017F;ten Haupt&#x017F;täd¬<lb/>
ten auf öffentlicher Stra&#x017F;&#x017F;e auf &#x017F;eine eigne Fau&#x017F;t<lb/>
Ball ge&#x017F;pielt, Kotzebue'n einmal in einer Ge&#x017F;ell¬<lb/>
&#x017F;chaft in den Sack ge&#x017F;prochen, fa&#x017F;t mit allen be¬<lb/>
rühmten Schrift&#x017F;tellern zu Mittag ge&#x017F;peißt oder klei¬<lb/>
ne Fußrei&#x017F;en gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬<lb/>
lich zu keiner Parthey; er über&#x017F;ah alle weit und<lb/>
belächelte die entgegenge&#x017F;etzten Ge&#x017F;innungen und<lb/>
Be&#x017F;trebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophen oder Dichtern: Er war &#x017F;ich der Lichtpunkt<lb/>
die&#x017F;er ver&#x017F;chiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren<lb/>
alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit<lb/>
einem nachlä&#x017F;&#x017F;ig my&#x017F;ti&#x017F;chen An&#x017F;trich, und die Frauen¬<lb/>
zimmer er&#x017F;taunten nicht über das, was er &#x017F;agte,<lb/>
&#x017F;ondern was er, in der Ueberzeugung nicht ver&#x017F;tan¬<lb/>
den zu werden, zu ver&#x017F;chweigen &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Wenn die&#x017F;er heimlich die Meynung zu regieren<lb/>
&#x017F;chien, &#x017F;o führte dagegen ein anderer fa&#x017F;t einzig<lb/>
das hohe Wort. Es war ein junger, voller Men&#x017F;ch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0210] ten, von denen er ſelber manche kaum dem Nahmen nach kannte, wie leicht ſie mit Nahmen herumwar¬ fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬ ſprechen gewohnt war. Unter ihnen ſchien beſonders ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in einem gewiſſen Glauben und Anſeh'n zu ſtehen. Die Frauenzimmer ſahen ihn beſtändig an, wenn es darauf ankam, ein Urtheil zu ſagen, und ſuch¬ ten in ſeinem Geſichte ſeinen Beyfall oder Tadel im voraus herauszuleſen, um ſich nicht etwa mit etwas Abgeſchmacktem zu proſtituiren. Er hatte viele ge¬ nialiſche Reiſen gemacht, in den meiſten Hauptſtäd¬ ten auf öffentlicher Straſſe auf ſeine eigne Fauſt Ball geſpielt, Kotzebue'n einmal in einer Geſell¬ ſchaft in den Sack geſprochen, faſt mit allen be¬ rühmten Schriftſtellern zu Mittag geſpeißt oder klei¬ ne Fußreiſen gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬ lich zu keiner Parthey; er überſah alle weit und belächelte die entgegengeſetzten Geſinnungen und Beſtrebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬ loſophen oder Dichtern: Er war ſich der Lichtpunkt dieſer verſchiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit einem nachläſſig myſtiſchen Anſtrich, und die Frauen¬ zimmer erſtaunten nicht über das, was er ſagte, ſondern was er, in der Ueberzeugung nicht verſtan¬ den zu werden, zu verſchweigen ſchien. Wenn dieſer heimlich die Meynung zu regieren ſchien, ſo führte dagegen ein anderer faſt einzig das hohe Wort. Es war ein junger, voller Menſch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/210
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/210>, abgerufen am 23.11.2024.