Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

schöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er stand
so dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte.
Sie litt es gern, daß er sie noch näher an sich
zog, und ihre Lippen kamen zusammen. Wie hei¬
ßen Sie? fragte Friedrich endlich. Rosa, sagte
sie leise und bedeckte ihr Gesicht mit beyden Hän¬
den. In diesem Augenblicke gieng die Stubenthür
auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬
dampf und verschiedenen tosenden Stimmen quoll
heraus, und das Mädchen war verschwunden, ohne
daß Friedrich sie halten konnte.

Erst lange Zeit nachher gieng auch er wieder in
sein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles still
geworden. Das Licht war bis an den Leuchter
ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd,
einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die
Studenten, die zwischen Trümmern von Tabacks¬
pfeiffen, wie Todte, umherlagen und schliefen.
Friedrich machte daher die Thüre leise zu, und
begab sich wieder auf den Balkon hinaus, wo er
die Nacht zuzubringen beschloß. Entzückt in allen
seinen Sinnen, schaute er da in die stille Gegend
hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus,
rauscht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und
wenn alles auf Erden schläft, ich bin so wach, daß
ich tanzen möchte! Er warf sich auf die steinerne
Bank hin, wo das Mädchen gesessen hatte, lehnte
die Stirn an's Geländer und sang still in sich ver¬
schiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut
besser und rührte ihn neu. Das Rauschen des

ſchöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er ſtand
ſo dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte.
Sie litt es gern, daß er ſie noch näher an ſich
zog, und ihre Lippen kamen zuſammen. Wie hei¬
ßen Sie? fragte Friedrich endlich. Roſa, ſagte
ſie leiſe und bedeckte ihr Geſicht mit beyden Hän¬
den. In dieſem Augenblicke gieng die Stubenthür
auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬
dampf und verſchiedenen toſenden Stimmen quoll
heraus, und das Mädchen war verſchwunden, ohne
daß Friedrich ſie halten konnte.

Erſt lange Zeit nachher gieng auch er wieder in
ſein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles ſtill
geworden. Das Licht war bis an den Leuchter
ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd,
einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die
Studenten, die zwiſchen Trümmern von Tabacks¬
pfeiffen, wie Todte, umherlagen und ſchliefen.
Friedrich machte daher die Thüre leiſe zu, und
begab ſich wieder auf den Balkon hinaus, wo er
die Nacht zuzubringen beſchloß. Entzückt in allen
ſeinen Sinnen, ſchaute er da in die ſtille Gegend
hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus,
rauſcht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und
wenn alles auf Erden ſchläft, ich bin ſo wach, daß
ich tanzen möchte! Er warf ſich auf die ſteinerne
Bank hin, wo das Mädchen geſeſſen hatte, lehnte
die Stirn an's Geländer und ſang ſtill in ſich ver¬
ſchiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut
beſſer und rührte ihn neu. Das Rauſchen des

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0021" n="15"/>
&#x017F;chöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er &#x017F;tand<lb/>
&#x017F;o dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte.<lb/>
Sie litt es gern, daß er &#x017F;ie noch näher an &#x017F;ich<lb/>
zog, und ihre Lippen kamen zu&#x017F;ammen. Wie hei¬<lb/>
ßen Sie? fragte <hi rendition="#g">Friedrich</hi> endlich. <hi rendition="#g">Ro&#x017F;a</hi>, &#x017F;agte<lb/>
&#x017F;ie lei&#x017F;e und bedeckte ihr Ge&#x017F;icht mit beyden Hän¬<lb/>
den. In die&#x017F;em Augenblicke gieng die Stubenthür<lb/>
auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬<lb/>
dampf und ver&#x017F;chiedenen to&#x017F;enden Stimmen quoll<lb/>
heraus, und das Mädchen war ver&#x017F;chwunden, ohne<lb/>
daß <hi rendition="#g">Friedrich</hi> &#x017F;ie halten konnte.</p><lb/>
          <p>Er&#x017F;t lange Zeit nachher gieng auch er wieder in<lb/>
&#x017F;ein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles &#x017F;till<lb/>
geworden. Das Licht war bis an den Leuchter<lb/>
ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd,<lb/>
einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die<lb/>
Studenten, die zwi&#x017F;chen Trümmern von Tabacks¬<lb/>
pfeiffen, wie Todte, umherlagen und &#x017F;chliefen.<lb/><hi rendition="#g">Friedrich</hi> machte daher die Thüre lei&#x017F;e zu, und<lb/>
begab &#x017F;ich wieder auf den Balkon hinaus, wo er<lb/>
die Nacht zuzubringen be&#x017F;chloß. Entzückt in allen<lb/>
&#x017F;einen Sinnen, &#x017F;chaute er da in die &#x017F;tille Gegend<lb/>
hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus,<lb/>
rau&#x017F;cht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und<lb/>
wenn alles auf Erden &#x017F;chläft, ich bin &#x017F;o wach, daß<lb/>
ich tanzen möchte! Er warf &#x017F;ich auf die &#x017F;teinerne<lb/>
Bank hin, wo das Mädchen ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en hatte, lehnte<lb/>
die Stirn an's Geländer und &#x017F;ang &#x017F;till in &#x017F;ich ver¬<lb/>
&#x017F;chiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er und rührte ihn neu. Das Rau&#x017F;chen des<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0021] ſchöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er ſtand ſo dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte. Sie litt es gern, daß er ſie noch näher an ſich zog, und ihre Lippen kamen zuſammen. Wie hei¬ ßen Sie? fragte Friedrich endlich. Roſa, ſagte ſie leiſe und bedeckte ihr Geſicht mit beyden Hän¬ den. In dieſem Augenblicke gieng die Stubenthür auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬ dampf und verſchiedenen toſenden Stimmen quoll heraus, und das Mädchen war verſchwunden, ohne daß Friedrich ſie halten konnte. Erſt lange Zeit nachher gieng auch er wieder in ſein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles ſtill geworden. Das Licht war bis an den Leuchter ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd, einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die Studenten, die zwiſchen Trümmern von Tabacks¬ pfeiffen, wie Todte, umherlagen und ſchliefen. Friedrich machte daher die Thüre leiſe zu, und begab ſich wieder auf den Balkon hinaus, wo er die Nacht zuzubringen beſchloß. Entzückt in allen ſeinen Sinnen, ſchaute er da in die ſtille Gegend hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus, rauſcht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und wenn alles auf Erden ſchläft, ich bin ſo wach, daß ich tanzen möchte! Er warf ſich auf die ſteinerne Bank hin, wo das Mädchen geſeſſen hatte, lehnte die Stirn an's Geländer und ſang ſtill in ſich ver¬ ſchiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut beſſer und rührte ihn neu. Das Rauſchen des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/21
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/21>, abgerufen am 27.11.2024.