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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Er wurde bey Vorweisung der Karte in einen
Saal gewiesen, der, wie es schien, mit Fleiß, nur
durch einen einzigen Kronleuchter sehr matt beleuch¬
tet wurde. In dieser sonderbaren Dämmerung fand
er eine zahlreiche Gesellschaft, die lebhaft durchein¬
andersprechend in einzelne Parthieen zerstreut umher¬
saß. Er kannte niemand und wurde auch nicht be¬
merkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwar¬
tete, an einen Pfeiler gelehnt, den Ausgang der
Sache.

Bald darauf wurde zu seinem Erstaunen auch
der einzige Kronleuchter hinaufgezogen. Eine un¬
durchdringliche Finsterniß erfüllte nun plötzlich den
Raum und er horte ein quickerndes, leichtfertiges
Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über
den ganzen Saal. Wie sehr aber fühlte er sich
überrascht, als auf einmal ein Vorhang im Vor¬
dergrunde niedersank und eine unerwartete Erschei¬
nung von der seltsamsten Erfindung sich den Augen
darbot.

Man sah nemlich sehr überraschend ins Freye,
überschaute statt eines Theaters die große, wunder¬
bare Bühne der Nacht selber, die vom Monde be¬
leuchtet draussen ruhte. Schräge über die Gegend
hin streckte sich ein ungeheurer Riesenschatten weit
hinaus, auf dessen Rücken eine hohe weibliche Ge¬
stalt erhoben stand. Ihr langes weites Gewand
war durchaus blendendweiß, die eine Hand hatte
sie ans Herz gelegt, mit der anderen hielt sie ein
Kreutz zum Himmel empor. Das Gewand schien

Er wurde bey Vorweiſung der Karte in einen
Saal gewieſen, der, wie es ſchien, mit Fleiß, nur
durch einen einzigen Kronleuchter ſehr matt beleuch¬
tet wurde. In dieſer ſonderbaren Dämmerung fand
er eine zahlreiche Geſellſchaft, die lebhaft durchein¬
anderſprechend in einzelne Parthieen zerſtreut umher¬
ſaß. Er kannte niemand und wurde auch nicht be¬
merkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwar¬
tete, an einen Pfeiler gelehnt, den Ausgang der
Sache.

Bald darauf wurde zu ſeinem Erſtaunen auch
der einzige Kronleuchter hinaufgezogen. Eine un¬
durchdringliche Finſterniß erfüllte nun plötzlich den
Raum und er horte ein quickerndes, leichtfertiges
Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über
den ganzen Saal. Wie ſehr aber fühlte er ſich
überraſcht, als auf einmal ein Vorhang im Vor¬
dergrunde niederſank und eine unerwartete Erſchei¬
nung von der ſeltſamſten Erfindung ſich den Augen
darbot.

Man ſah nemlich ſehr überraſchend ins Freye,
überſchaute ſtatt eines Theaters die große, wunder¬
bare Bühne der Nacht ſelber, die vom Monde be¬
leuchtet drauſſen ruhte. Schräge über die Gegend
hin ſtreckte ſich ein ungeheurer Rieſenſchatten weit
hinaus, auf deſſen Rücken eine hohe weibliche Ge¬
ſtalt erhoben ſtand. Ihr langes weites Gewand
war durchaus blendendweiß, die eine Hand hatte
ſie ans Herz gelegt, mit der anderen hielt ſie ein
Kreutz zum Himmel empor. Das Gewand ſchien

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[198/0204] Er wurde bey Vorweiſung der Karte in einen Saal gewieſen, der, wie es ſchien, mit Fleiß, nur durch einen einzigen Kronleuchter ſehr matt beleuch¬ tet wurde. In dieſer ſonderbaren Dämmerung fand er eine zahlreiche Geſellſchaft, die lebhaft durchein¬ anderſprechend in einzelne Parthieen zerſtreut umher¬ ſaß. Er kannte niemand und wurde auch nicht be¬ merkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwar¬ tete, an einen Pfeiler gelehnt, den Ausgang der Sache. Bald darauf wurde zu ſeinem Erſtaunen auch der einzige Kronleuchter hinaufgezogen. Eine un¬ durchdringliche Finſterniß erfüllte nun plötzlich den Raum und er horte ein quickerndes, leichtfertiges Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über den ganzen Saal. Wie ſehr aber fühlte er ſich überraſcht, als auf einmal ein Vorhang im Vor¬ dergrunde niederſank und eine unerwartete Erſchei¬ nung von der ſeltſamſten Erfindung ſich den Augen darbot. Man ſah nemlich ſehr überraſchend ins Freye, überſchaute ſtatt eines Theaters die große, wunder¬ bare Bühne der Nacht ſelber, die vom Monde be¬ leuchtet drauſſen ruhte. Schräge über die Gegend hin ſtreckte ſich ein ungeheurer Rieſenſchatten weit hinaus, auf deſſen Rücken eine hohe weibliche Ge¬ ſtalt erhoben ſtand. Ihr langes weites Gewand war durchaus blendendweiß, die eine Hand hatte ſie ans Herz gelegt, mit der anderen hielt ſie ein Kreutz zum Himmel empor. Das Gewand ſchien

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/204>, abgerufen am 22.11.2024.