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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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die Wahrhaftigkeit seines Herzens vertrauend,
sprach er daher, als sich bald nachher die Unter¬
haltung zu den neuesten Zeitbegebenheiten wandte,
über Staat, öffentliche Verhandlungen und Patrio¬
tismus mit einer sorglosen, sieghaften Ergreiffung,
die vielleicht manchmal um desto eher an Uebertrei¬
bung gränzte, je mehr ihn der unüberwindlich kal¬
te Gegensatz des Ministers erhitzte. Der Minister
hörte ihn stillschweigend an. Als er geendigt hatte,
sagte er ruhig: Ich bitte Sie, verlegen Sie sich
doch einige Zeit mit ausschließlichem Fleiße auf das
Studium der Jurisprudenz und der kammeralistischen
Wissenschaften. Friedrich griff schnell nach seinem
Hute. Der Minister überreichte ihm eine Einla¬
dungskarte zu einem sogenannten Tableau, welches
heute Abend bey einer Dame, die durch gelehrte
Zirkel berüchtigt war, von mehreren jungen Da¬
men aufgeführt werden sollte, und Friedrich eilte
aus dem Hause fort. Er hatte sich oben in der Ge¬
genwart des Ministers wie von einer unsichtbaren
Uebermacht bedrückt gefühlt, es kam ihm vor, als
gienge alles anders auf der Welt, als er es sich in
guten Tagen vorgestellt.

Es war schon Abend geworden, als sich Frie¬
drich endlich entschloß, von der Einladungskarte, die
er vom Minister bekommen hatte, Gebrauch zu ma¬
chen. Er machte sich schnell auf den Weg; aber
das Haus der Dame, wohin die Addresse gerichtet
war, lag weit in dem anderen Theile der Stadt,
und so langte er ziemlich spät dort an.

die Wahrhaftigkeit ſeines Herzens vertrauend,
ſprach er daher, als ſich bald nachher die Unter¬
haltung zu den neueſten Zeitbegebenheiten wandte,
über Staat, öffentliche Verhandlungen und Patrio¬
tiſmus mit einer ſorgloſen, ſieghaften Ergreiffung,
die vielleicht manchmal um deſto eher an Uebertrei¬
bung gränzte, je mehr ihn der unüberwindlich kal¬
te Gegenſatz des Miniſters erhitzte. Der Miniſter
hörte ihn ſtillſchweigend an. Als er geendigt hatte,
ſagte er ruhig: Ich bitte Sie, verlegen Sie ſich
doch einige Zeit mit ausſchließlichem Fleiße auf das
Studium der Jurisprudenz und der kammeraliſtiſchen
Wiſſenſchaften. Friedrich griff ſchnell nach ſeinem
Hute. Der Miniſter überreichte ihm eine Einla¬
dungskarte zu einem ſogenannten Tableau, welches
heute Abend bey einer Dame, die durch gelehrte
Zirkel berüchtigt war, von mehreren jungen Da¬
men aufgeführt werden ſollte, und Friedrich eilte
aus dem Hauſe fort. Er hatte ſich oben in der Ge¬
genwart des Miniſters wie von einer unſichtbaren
Uebermacht bedrückt gefühlt, es kam ihm vor, als
gienge alles anders auf der Welt, als er es ſich in
guten Tagen vorgeſtellt.

Es war ſchon Abend geworden, als ſich Frie¬
drich endlich entſchloß, von der Einladungskarte, die
er vom Miniſter bekommen hatte, Gebrauch zu ma¬
chen. Er machte ſich ſchnell auf den Weg; aber
das Haus der Dame, wohin die Addreſſe gerichtet
war, lag weit in dem anderen Theile der Stadt,
und ſo langte er ziemlich ſpät dort an.

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[197/0203] die Wahrhaftigkeit ſeines Herzens vertrauend, ſprach er daher, als ſich bald nachher die Unter¬ haltung zu den neueſten Zeitbegebenheiten wandte, über Staat, öffentliche Verhandlungen und Patrio¬ tiſmus mit einer ſorgloſen, ſieghaften Ergreiffung, die vielleicht manchmal um deſto eher an Uebertrei¬ bung gränzte, je mehr ihn der unüberwindlich kal¬ te Gegenſatz des Miniſters erhitzte. Der Miniſter hörte ihn ſtillſchweigend an. Als er geendigt hatte, ſagte er ruhig: Ich bitte Sie, verlegen Sie ſich doch einige Zeit mit ausſchließlichem Fleiße auf das Studium der Jurisprudenz und der kammeraliſtiſchen Wiſſenſchaften. Friedrich griff ſchnell nach ſeinem Hute. Der Miniſter überreichte ihm eine Einla¬ dungskarte zu einem ſogenannten Tableau, welches heute Abend bey einer Dame, die durch gelehrte Zirkel berüchtigt war, von mehreren jungen Da¬ men aufgeführt werden ſollte, und Friedrich eilte aus dem Hauſe fort. Er hatte ſich oben in der Ge¬ genwart des Miniſters wie von einer unſichtbaren Uebermacht bedrückt gefühlt, es kam ihm vor, als gienge alles anders auf der Welt, als er es ſich in guten Tagen vorgeſtellt. Es war ſchon Abend geworden, als ſich Frie¬ drich endlich entſchloß, von der Einladungskarte, die er vom Miniſter bekommen hatte, Gebrauch zu ma¬ chen. Er machte ſich ſchnell auf den Weg; aber das Haus der Dame, wohin die Addreſſe gerichtet war, lag weit in dem anderen Theile der Stadt, und ſo langte er ziemlich ſpät dort an.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/203>, abgerufen am 24.11.2024.