zu emfangen, mußte er nun ablegen. Trostlos blickte er aus dem Fenster in das verwirrende Trei¬ ben der mühseligdrängenden, schwankenden Menge, und es war ihm, als könnte er hier nicht beten. In solchen verlassenen Stunden wenden wir uns mit doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten, aus denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt, wo wir Ruhe, Trost und Freude wieder zu finden wähnen. Auch Friedrich eilte, seine Rosa endlich wieder zu sehen. Aber seine Erwartung sollte noch einmal getäuscht werden. Sie war, wie wir ge¬ hört haben, eben fortgeritten, als er hinkam.
Ungeduldig verließ er von neuem das Haus, und es fehlte wenig, daß er in einer Aufwallung nicht sogleich gar wieder fortreiste. Müßig und unlustig schlenderte er durch die Gassen zwischen den fremden Menschengesichtern, ohne zu wissen, wohin. Die ersten Stunden und Tage, die wir in einer großen, unbekannten Stadt verbringen, gehören meistens unter die verdrießlichsten unseres Lebens. Ueberall von aller organischen Theilnahme ausge¬ schlossen, sind wir wie ein überflüssiges, stillstehendes Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Trei¬ bens. Neutral hängen wir gleichsam unser ganzes Wesen schlaff zu Boden und haschen, da wir inner¬ lich nicht zu Hause sind, auswärts nach einem fe¬ sten, sicheren Halt. Solche Augenblicke sind es, wo wir darauf verfallen, Visiten zu machen und nach Bekanntschaften zu jagen, da uns sonst der un¬ gestörte Zug eines frischen, bewegten Lebens in
zu emfangen, mußte er nun ablegen. Troſtlos blickte er aus dem Fenſter in das verwirrende Trei¬ ben der mühſeligdrängenden, ſchwankenden Menge, und es war ihm, als könnte er hier nicht beten. In ſolchen verlaſſenen Stunden wenden wir uns mit doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten, aus denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt, wo wir Ruhe, Troſt und Freude wieder zu finden wähnen. Auch Friedrich eilte, ſeine Roſa endlich wieder zu ſehen. Aber ſeine Erwartung ſollte noch einmal getäuſcht werden. Sie war, wie wir ge¬ hört haben, eben fortgeritten, als er hinkam.
Ungeduldig verließ er von neuem das Haus, und es fehlte wenig, daß er in einer Aufwallung nicht ſogleich gar wieder fortreiste. Müßig und unluſtig ſchlenderte er durch die Gaſſen zwiſchen den fremden Menſchengeſichtern, ohne zu wiſſen, wohin. Die erſten Stunden und Tage, die wir in einer großen, unbekannten Stadt verbringen, gehören meiſtens unter die verdrießlichſten unſeres Lebens. Ueberall von aller organiſchen Theilnahme ausge¬ ſchloſſen, ſind wir wie ein überflüſſiges, ſtillſtehendes Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Trei¬ bens. Neutral hängen wir gleichſam unſer ganzes Weſen ſchlaff zu Boden und haſchen, da wir inner¬ lich nicht zu Hauſe ſind, auswärts nach einem fe¬ ſten, ſicheren Halt. Solche Augenblicke ſind es, wo wir darauf verfallen, Viſiten zu machen und nach Bekanntſchaften zu jagen, da uns ſonſt der un¬ geſtörte Zug eines friſchen, bewegten Lebens in
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[194/0200]
zu emfangen, mußte er nun ablegen. Troſtlos
blickte er aus dem Fenſter in das verwirrende Trei¬
ben der mühſeligdrängenden, ſchwankenden Menge,
und es war ihm, als könnte er hier nicht beten.
In ſolchen verlaſſenen Stunden wenden wir uns mit
doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten, aus
denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt,
wo wir Ruhe, Troſt und Freude wieder zu finden
wähnen. Auch Friedrich eilte, ſeine Roſa endlich
wieder zu ſehen. Aber ſeine Erwartung ſollte noch
einmal getäuſcht werden. Sie war, wie wir ge¬
hört haben, eben fortgeritten, als er hinkam.
Ungeduldig verließ er von neuem das Haus,
und es fehlte wenig, daß er in einer Aufwallung
nicht ſogleich gar wieder fortreiste. Müßig und
unluſtig ſchlenderte er durch die Gaſſen zwiſchen den
fremden Menſchengeſichtern, ohne zu wiſſen, wohin.
Die erſten Stunden und Tage, die wir in einer
großen, unbekannten Stadt verbringen, gehören
meiſtens unter die verdrießlichſten unſeres Lebens.
Ueberall von aller organiſchen Theilnahme ausge¬
ſchloſſen, ſind wir wie ein überflüſſiges, ſtillſtehendes
Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Trei¬
bens. Neutral hängen wir gleichſam unſer ganzes
Weſen ſchlaff zu Boden und haſchen, da wir inner¬
lich nicht zu Hauſe ſind, auswärts nach einem fe¬
ſten, ſicheren Halt. Solche Augenblicke ſind es, wo
wir darauf verfallen, Viſiten zu machen und nach
Bekanntſchaften zu jagen, da uns ſonſt der un¬
geſtörte Zug eines friſchen, bewegten Lebens in
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/200>, abgerufen am 27.11.2024.
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