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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Ich weiß noch, unser Schloß lag sehr hoch
zwischen einsamen Wäldern, ein schöner Garten
war daneben, unten gieng ein Strom vorüber. Alle
Morgen, wenn ich in den Garten kam, hörte ich
draussen in den Bergen ein Waldhorn blasen, bald
nahe, bald weit, dazwischen sah ich oft einen Rei¬
ter plötzlich fern zwischen den Bäumen erscheinen
und schnell wieder verschwinden. Gott! mit welchen
Augen schaute ich da in die Wälder und den blauen
weiten Himmel hinaus! Aber ich durfte, so lange
meine Mutter lebte, niemals allein aus dem Gar¬
ten. Ein einzigesmal, an einem prächtigen Abende,
da der Jäger draussen wieder bließ, wagte ich es
und schlich unbemerkt in den Wald hinaus. Ich
gieng nun zum erstenmale allein durch die dunkel¬
grünen Gänge, zwischen Felsen und über eingeschlos¬
sene Wiesen voll bunter Blumen, alte, seltsame Ge¬
schichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir
dabey ein; viele Vögel sangen ringsumher, das
Waldhorn rufte immerfort, noch niemals hatte ich
so große Lust empfunden. Doch, wie ich im Be¬
schauen so versunken, gieng und staunte, hatt' ich
den rechten Weg verlohren, auch wurde es schon
dunkel. Ich irrt und rief, doch niemand gab mir
Antwort. Die Nacht bedeckte indeß Wälder und
Berge, die nun wie dunkle Riesen auf mich sahen,
nur die Bäume rührten sich so schaurig, sonst war
es still im großen Walde. -- Ist das nicht recht
romantisch? unterbrach sich hier die Gräfin selbst
laut auflachend. -- Ermüdet, fuhr sie wieder weiter

Ich weiß noch, unſer Schloß lag ſehr hoch
zwiſchen einſamen Wäldern, ein ſchöner Garten
war daneben, unten gieng ein Strom vorüber. Alle
Morgen, wenn ich in den Garten kam, hörte ich
drauſſen in den Bergen ein Waldhorn blaſen, bald
nahe, bald weit, dazwiſchen ſah ich oft einen Rei¬
ter plötzlich fern zwiſchen den Bäumen erſcheinen
und ſchnell wieder verſchwinden. Gott! mit welchen
Augen ſchaute ich da in die Wälder und den blauen
weiten Himmel hinaus! Aber ich durfte, ſo lange
meine Mutter lebte, niemals allein aus dem Gar¬
ten. Ein einzigesmal, an einem prächtigen Abende,
da der Jäger drauſſen wieder bließ, wagte ich es
und ſchlich unbemerkt in den Wald hinaus. Ich
gieng nun zum erſtenmale allein durch die dunkel¬
grünen Gänge, zwiſchen Felſen und über eingeſchloſ¬
ſene Wieſen voll bunter Blumen, alte, ſeltſame Ge¬
ſchichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir
dabey ein; viele Vögel ſangen ringsumher, das
Waldhorn rufte immerfort, noch niemals hatte ich
ſo große Luſt empfunden. Doch, wie ich im Be¬
ſchauen ſo verſunken, gieng und ſtaunte, hatt' ich
den rechten Weg verlohren, auch wurde es ſchon
dunkel. Ich irrt und rief, doch niemand gab mir
Antwort. Die Nacht bedeckte indeß Wälder und
Berge, die nun wie dunkle Rieſen auf mich ſahen,
nur die Bäume rührten ſich ſo ſchaurig, ſonſt war
es ſtill im großen Walde. — Iſt das nicht recht
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laut auflachend. — Ermüdet, fuhr ſie wieder weiter

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[189/0195] Ich weiß noch, unſer Schloß lag ſehr hoch zwiſchen einſamen Wäldern, ein ſchöner Garten war daneben, unten gieng ein Strom vorüber. Alle Morgen, wenn ich in den Garten kam, hörte ich drauſſen in den Bergen ein Waldhorn blaſen, bald nahe, bald weit, dazwiſchen ſah ich oft einen Rei¬ ter plötzlich fern zwiſchen den Bäumen erſcheinen und ſchnell wieder verſchwinden. Gott! mit welchen Augen ſchaute ich da in die Wälder und den blauen weiten Himmel hinaus! Aber ich durfte, ſo lange meine Mutter lebte, niemals allein aus dem Gar¬ ten. Ein einzigesmal, an einem prächtigen Abende, da der Jäger drauſſen wieder bließ, wagte ich es und ſchlich unbemerkt in den Wald hinaus. Ich gieng nun zum erſtenmale allein durch die dunkel¬ grünen Gänge, zwiſchen Felſen und über eingeſchloſ¬ ſene Wieſen voll bunter Blumen, alte, ſeltſame Ge¬ ſchichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir dabey ein; viele Vögel ſangen ringsumher, das Waldhorn rufte immerfort, noch niemals hatte ich ſo große Luſt empfunden. Doch, wie ich im Be¬ ſchauen ſo verſunken, gieng und ſtaunte, hatt' ich den rechten Weg verlohren, auch wurde es ſchon dunkel. Ich irrt und rief, doch niemand gab mir Antwort. Die Nacht bedeckte indeß Wälder und Berge, die nun wie dunkle Rieſen auf mich ſahen, nur die Bäume rührten ſich ſo ſchaurig, ſonſt war es ſtill im großen Walde. — Iſt das nicht recht romantiſch? unterbrach ſich hier die Gräfin ſelbſt laut auflachend. — Ermüdet, fuhr ſie wieder weiter

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/195>, abgerufen am 24.11.2024.