schnurstracks ins Bett springen könnt und der schö¬ nen Welt so auf einmal ein Ende machen! Ich bin immer so ganz durchklungen, als sollte die Musik niemals aufhören.
Bald darauf fand sie Rosa's Augen so süß ver¬ schlafen, daß sie schnell zu ihr hinsprang und sie küß[t]e. Sie sezte sich neben ihr hin und half sie von allen Seiten schmücken, setzte ihr bald einen Hut, bald Blumen auf und riß eben so oft alles wieder herunter, wie ein verliebter Knabe, der nicht weiß, wie er sich sein Liebchen würdig genug aufputzen soll. Ich weiß gar nicht, was wir uns putzen, sagte das schöne Weib endlich und lehnte den schwarzgelockten Kopf schwermüthig auf den blen¬ dendweißen Arm, was wir uns kümmern und noch Herzweh haben nach den Männern: solches schmu¬ tziges, abgearbeitetes, unverschämtes Volk, steiflei¬ nene Helden, die sich spreitzen und in allem Ernste glauben, daß sie uns beherrschen, während wir sie auslachen, fleissige Staatsbürger und eheliche Ehe¬ standskandidaten, die, ganz beschwitzt von der Be¬ rufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib, mit aller Wuth ihrer Inbrunst von der Werkstatt zum Gar¬ ten der Liebe springen, und denen die Liebe ansteht, wie eine umgekehrt aufgesetzte Perücke. -- Rosa besah sich im Spiegel und lachte. -- Wenn ich mir bedenke, fuhr die Gräfin fort, wie ich mir sonst als kleines Mädchen einen Liebhaber vorgestellt habe: wunderschön, stark, voll Tapferkeit, wild, und doch wieder so milde, wenn er bey mir war.
ſchnurſtracks ins Bett ſpringen könnt und der ſchö¬ nen Welt ſo auf einmal ein Ende machen! Ich bin immer ſo ganz durchklungen, als ſollte die Muſik niemals aufhören.
Bald darauf fand ſie Roſa's Augen ſo ſüß ver¬ ſchlafen, daß ſie ſchnell zu ihr hinſprang und ſie küß[t]e. Sie ſezte ſich neben ihr hin und half ſie von allen Seiten ſchmücken, ſetzte ihr bald einen Hut, bald Blumen auf und riß eben ſo oft alles wieder herunter, wie ein verliebter Knabe, der nicht weiß, wie er ſich ſein Liebchen würdig genug aufputzen ſoll. Ich weiß gar nicht, was wir uns putzen, ſagte das ſchöne Weib endlich und lehnte den ſchwarzgelockten Kopf ſchwermüthig auf den blen¬ dendweißen Arm, was wir uns kümmern und noch Herzweh haben nach den Männern: ſolches ſchmu¬ tziges, abgearbeitetes, unverſchämtes Volk, ſteiflei¬ nene Helden, die ſich ſpreitzen und in allem Ernſte glauben, daß ſie uns beherrſchen, während wir ſie auslachen, fleiſſige Staatsbürger und eheliche Ehe¬ ſtandskandidaten, die, ganz beſchwitzt von der Be¬ rufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib, mit aller Wuth ihrer Inbrunſt von der Werkſtatt zum Gar¬ ten der Liebe ſpringen, und denen die Liebe anſteht, wie eine umgekehrt aufgeſetzte Perücke. — Roſa beſah ſich im Spiegel und lachte. — Wenn ich mir bedenke, fuhr die Gräfin fort, wie ich mir ſonſt als kleines Mädchen einen Liebhaber vorgeſtellt habe: wunderſchön, ſtark, voll Tapferkeit, wild, und doch wieder ſo milde, wenn er bey mir war.
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ſchnurſtracks ins Bett ſpringen könnt und der ſchö¬
nen Welt ſo auf einmal ein Ende machen! Ich bin
immer ſo ganz durchklungen, als ſollte die Muſik
niemals aufhören.
Bald darauf fand ſie Roſa's Augen ſo ſüß ver¬
ſchlafen, daß ſie ſchnell zu ihr hinſprang und ſie
küßte. Sie ſezte ſich neben ihr hin und half ſie von
allen Seiten ſchmücken, ſetzte ihr bald einen Hut,
bald Blumen auf und riß eben ſo oft alles wieder
herunter, wie ein verliebter Knabe, der nicht weiß,
wie er ſich ſein Liebchen würdig genug aufputzen
ſoll. Ich weiß gar nicht, was wir uns putzen,
ſagte das ſchöne Weib endlich und lehnte den
ſchwarzgelockten Kopf ſchwermüthig auf den blen¬
dendweißen Arm, was wir uns kümmern und noch
Herzweh haben nach den Männern: ſolches ſchmu¬
tziges, abgearbeitetes, unverſchämtes Volk, ſteiflei¬
nene Helden, die ſich ſpreitzen und in allem Ernſte
glauben, daß ſie uns beherrſchen, während wir ſie
auslachen, fleiſſige Staatsbürger und eheliche Ehe¬
ſtandskandidaten, die, ganz beſchwitzt von der Be¬
rufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib, mit
aller Wuth ihrer Inbrunſt von der Werkſtatt zum Gar¬
ten der Liebe ſpringen, und denen die Liebe anſteht,
wie eine umgekehrt aufgeſetzte Perücke. — Roſa
beſah ſich im Spiegel und lachte. — Wenn ich mir
bedenke, fuhr die Gräfin fort, wie ich mir ſonſt als
kleines Mädchen einen Liebhaber vorgeſtellt habe:
wunderſchön, ſtark, voll Tapferkeit, wild, und doch
wieder ſo milde, wenn er bey mir war.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/194>, abgerufen am 24.11.2024.
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