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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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weit von sich und war aus Herzensgrunde lustig.
Sie musizierten dann in seiner kleinen Stube ent¬
weder auf alten, halbbespannten Instrumenten,
oder Friedrich mußte einige wilde Burschenlieder auf
die Bahn bringen, die Viktor schnell auswendig
wußte, und mit gewaltiger Stimme mitsang. Fräu¬
lein Julie, die nebst ihrem Vater von jeher Vik¬
tors beste und einzige Freundin im Hause war,
stand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zau¬
ne des Schloßgartens, strickte und unterhielt sich
mit ihnen, war aber niemals zu bereden, selber zu
ihnen herüberzukommen. Die Tante und die mei¬
sten anderen konnten gar nicht begreifen, wie die
beyden Grafen einen solchen Geschmack an dem un¬
gebildeten Viktor und seinen lärmenden Vergnügun¬
gen finden konnten.

Und Du seltsamer, guter, geprüfter Freund,
ich brauche Dich und mich nicht zu nennen; aber
Du wirst uns beyde in tiefster Seele erkennen,
wenn Dir diese Blätter vielleicht einmal zufällig in
die Hände kommen. Dein Leben ist mir immer vor¬
gekommen, wie ein uraltes, dunkel verbautes Gemach
mit vielen rauhen Ecken, das unbeschreiblich einsam
und hoch steht über den gewöhnlichen Handthierun¬
gen der Menschen. Eine alte verstimmte Laute, die
niemand mehr zu spielen versteht, liegt verstaubt
auf dem Boden. Aus dem finsteren Erker siehst Du
durch bunt und phantastisch gemahlte Scheiben, über
daß niedere, emsig wimmelnde Land unten weg in
ein anderes, ruhiges, wunderbares, ewig freyes

weit von ſich und war aus Herzensgrunde luſtig.
Sie muſizierten dann in ſeiner kleinen Stube ent¬
weder auf alten, halbbeſpannten Inſtrumenten,
oder Friedrich mußte einige wilde Burſchenlieder auf
die Bahn bringen, die Viktor ſchnell auswendig
wußte, und mit gewaltiger Stimme mitſang. Fräu¬
lein Julie, die nebſt ihrem Vater von jeher Vik¬
tors beſte und einzige Freundin im Hauſe war,
ſtand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zau¬
ne des Schloßgartens, ſtrickte und unterhielt ſich
mit ihnen, war aber niemals zu bereden, ſelber zu
ihnen herüberzukommen. Die Tante und die mei¬
ſten anderen konnten gar nicht begreifen, wie die
beyden Grafen einen ſolchen Geſchmack an dem un¬
gebildeten Viktor und ſeinen lärmenden Vergnügun¬
gen finden konnten.

Und Du ſeltſamer, guter, geprüfter Freund,
ich brauche Dich und mich nicht zu nennen; aber
Du wirſt uns beyde in tiefſter Seele erkennen,
wenn Dir dieſe Blätter vielleicht einmal zufällig in
die Hände kommen. Dein Leben iſt mir immer vor¬
gekommen, wie ein uraltes, dunkel verbautes Gemach
mit vielen rauhen Ecken, das unbeſchreiblich einſam
und hoch ſteht über den gewöhnlichen Handthierun¬
gen der Menſchen. Eine alte verſtimmte Laute, die
niemand mehr zu ſpielen verſteht, liegt verſtaubt
auf dem Boden. Aus dem finſteren Erker ſiehſt Du
durch bunt und phantaſtiſch gemahlte Scheiben, über
daß niedere, emſig wimmelnde Land unten weg in
ein anderes, ruhiges, wunderbares, ewig freyes

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[154/0160] weit von ſich und war aus Herzensgrunde luſtig. Sie muſizierten dann in ſeiner kleinen Stube ent¬ weder auf alten, halbbeſpannten Inſtrumenten, oder Friedrich mußte einige wilde Burſchenlieder auf die Bahn bringen, die Viktor ſchnell auswendig wußte, und mit gewaltiger Stimme mitſang. Fräu¬ lein Julie, die nebſt ihrem Vater von jeher Vik¬ tors beſte und einzige Freundin im Hauſe war, ſtand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zau¬ ne des Schloßgartens, ſtrickte und unterhielt ſich mit ihnen, war aber niemals zu bereden, ſelber zu ihnen herüberzukommen. Die Tante und die mei¬ ſten anderen konnten gar nicht begreifen, wie die beyden Grafen einen ſolchen Geſchmack an dem un¬ gebildeten Viktor und ſeinen lärmenden Vergnügun¬ gen finden konnten. Und Du ſeltſamer, guter, geprüfter Freund, ich brauche Dich und mich nicht zu nennen; aber Du wirſt uns beyde in tiefſter Seele erkennen, wenn Dir dieſe Blätter vielleicht einmal zufällig in die Hände kommen. Dein Leben iſt mir immer vor¬ gekommen, wie ein uraltes, dunkel verbautes Gemach mit vielen rauhen Ecken, das unbeſchreiblich einſam und hoch ſteht über den gewöhnlichen Handthierun¬ gen der Menſchen. Eine alte verſtimmte Laute, die niemand mehr zu ſpielen verſteht, liegt verſtaubt auf dem Boden. Aus dem finſteren Erker ſiehſt Du durch bunt und phantaſtiſch gemahlte Scheiben, über daß niedere, emſig wimmelnde Land unten weg in ein anderes, ruhiges, wunderbares, ewig freyes

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/160>, abgerufen am 27.11.2024.