Ausgelassenheit, witzig, sinnreich und geschickt, so daß die meisten, die sich mit einer gewöhnlichen Betrachtung der menschlichen Natur begnügen, ihn für einen zweyfachen Menschen hielten. Es war aber eben die Tiefe seines Wesens, daß er sich nie¬ mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen konnte, und selbst seine Lustigkeit, wenn sie oft plötzlich losbrach, war durchaus ironisch und fast schauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünste und alltäglichen Handgriffe, sich durch die Welt zu hel¬ fen, seiner spröden Natur so zuwider, daß er selbst die unschuldigsten, gebräuchlichsten Gunstbewerbun¬ gen, ja sogar unter Freunden alle äussere Zeichen der Freundschaft verschmähte. Vor allen sogenann¬ ten klugen, gemachten Leuten war er besonders ver¬ schlossen, weil sie niemals weder seine Betrübniß noch seine Lust verstanden und ihn mit ihrer ange¬ bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten. Die beyden Grafen waren die ersten in seinem Le¬ ben, die bey allen seinen Aeusserungen wußten, was er meyne. Denn es ist das Besondere aus¬ gezeichneter Menschen, daß jede Erscheinung in ihrer reinen Brust sich in ihrer ursprünglichen Ei¬ genthümlichkeit bespiegelt, ohne daß sie dieselbe durch einen Beyschmack ihres eigenen Selbst ver¬ derben. Er liebte sie daher auch mit unerschütterli¬ cher Treue bis zu seinem Tode.
So oft sie Nachmittags zu ihm kamen, warf er sogleich alle Instrumente und Geräthschaften
Ausgelaſſenheit, witzig, ſinnreich und geſchickt, ſo daß die meiſten, die ſich mit einer gewöhnlichen Betrachtung der menſchlichen Natur begnügen, ihn für einen zweyfachen Menſchen hielten. Es war aber eben die Tiefe ſeines Weſens, daß er ſich nie¬ mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen konnte, und ſelbſt ſeine Luſtigkeit, wenn ſie oft plötzlich losbrach, war durchaus ironiſch und faſt ſchauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünſte und alltäglichen Handgriffe, ſich durch die Welt zu hel¬ fen, ſeiner ſpröden Natur ſo zuwider, daß er ſelbſt die unſchuldigſten, gebräuchlichſten Gunſtbewerbun¬ gen, ja ſogar unter Freunden alle äuſſere Zeichen der Freundſchaft verſchmähte. Vor allen ſogenann¬ ten klugen, gemachten Leuten war er beſonders ver¬ ſchloſſen, weil ſie niemals weder ſeine Betrübniß noch ſeine Luſt verſtanden und ihn mit ihrer ange¬ bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten. Die beyden Grafen waren die erſten in ſeinem Le¬ ben, die bey allen ſeinen Aeuſſerungen wußten, was er meyne. Denn es iſt das Beſondere aus¬ gezeichneter Menſchen, daß jede Erſcheinung in ihrer reinen Bruſt ſich in ihrer urſprünglichen Ei¬ genthümlichkeit beſpiegelt, ohne daß ſie dieſelbe durch einen Beyſchmack ihres eigenen Selbſt ver¬ derben. Er liebte ſie daher auch mit unerſchütterli¬ cher Treue bis zu ſeinem Tode.
So oft ſie Nachmittags zu ihm kamen, warf er ſogleich alle Inſtrumente und Geräthſchaften
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0159"n="153"/>
Ausgelaſſenheit, witzig, ſinnreich und geſchickt, ſo<lb/>
daß die meiſten, die ſich mit einer gewöhnlichen<lb/>
Betrachtung der menſchlichen Natur begnügen, ihn<lb/>
für einen zweyfachen Menſchen hielten. Es war<lb/>
aber eben die Tiefe ſeines Weſens, daß er ſich nie¬<lb/>
mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen<lb/>
Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen<lb/>
konnte, und ſelbſt ſeine Luſtigkeit, wenn ſie oft<lb/>
plötzlich losbrach, war durchaus ironiſch und faſt<lb/>ſchauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünſte und<lb/>
alltäglichen Handgriffe, ſich durch die Welt zu hel¬<lb/>
fen, ſeiner ſpröden Natur ſo zuwider, daß er ſelbſt<lb/>
die unſchuldigſten, gebräuchlichſten Gunſtbewerbun¬<lb/>
gen, ja ſogar unter Freunden alle äuſſere Zeichen<lb/>
der Freundſchaft verſchmähte. Vor allen ſogenann¬<lb/>
ten klugen, gemachten Leuten war er beſonders ver¬<lb/>ſchloſſen, weil ſie niemals weder ſeine Betrübniß<lb/>
noch ſeine Luſt verſtanden und ihn mit ihrer ange¬<lb/>
bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten.<lb/>
Die beyden Grafen waren die erſten in ſeinem Le¬<lb/>
ben, die bey allen ſeinen Aeuſſerungen wußten,<lb/>
was er meyne. Denn es iſt das Beſondere aus¬<lb/>
gezeichneter Menſchen, daß jede Erſcheinung in<lb/>
ihrer reinen Bruſt ſich in ihrer urſprünglichen Ei¬<lb/>
genthümlichkeit beſpiegelt, ohne daß ſie dieſelbe<lb/>
durch einen Beyſchmack ihres eigenen Selbſt ver¬<lb/>
derben. Er liebte ſie daher auch mit unerſchütterli¬<lb/>
cher Treue bis zu ſeinem Tode.</p><lb/><p>So oft ſie Nachmittags zu ihm kamen, warf<lb/>
er ſogleich alle Inſtrumente und Geräthſchaften<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[153/0159]
Ausgelaſſenheit, witzig, ſinnreich und geſchickt, ſo
daß die meiſten, die ſich mit einer gewöhnlichen
Betrachtung der menſchlichen Natur begnügen, ihn
für einen zweyfachen Menſchen hielten. Es war
aber eben die Tiefe ſeines Weſens, daß er ſich nie¬
mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen
Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen
konnte, und ſelbſt ſeine Luſtigkeit, wenn ſie oft
plötzlich losbrach, war durchaus ironiſch und faſt
ſchauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünſte und
alltäglichen Handgriffe, ſich durch die Welt zu hel¬
fen, ſeiner ſpröden Natur ſo zuwider, daß er ſelbſt
die unſchuldigſten, gebräuchlichſten Gunſtbewerbun¬
gen, ja ſogar unter Freunden alle äuſſere Zeichen
der Freundſchaft verſchmähte. Vor allen ſogenann¬
ten klugen, gemachten Leuten war er beſonders ver¬
ſchloſſen, weil ſie niemals weder ſeine Betrübniß
noch ſeine Luſt verſtanden und ihn mit ihrer ange¬
bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten.
Die beyden Grafen waren die erſten in ſeinem Le¬
ben, die bey allen ſeinen Aeuſſerungen wußten,
was er meyne. Denn es iſt das Beſondere aus¬
gezeichneter Menſchen, daß jede Erſcheinung in
ihrer reinen Bruſt ſich in ihrer urſprünglichen Ei¬
genthümlichkeit beſpiegelt, ohne daß ſie dieſelbe
durch einen Beyſchmack ihres eigenen Selbſt ver¬
derben. Er liebte ſie daher auch mit unerſchütterli¬
cher Treue bis zu ſeinem Tode.
So oft ſie Nachmittags zu ihm kamen, warf
er ſogleich alle Inſtrumente und Geräthſchaften
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/159>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.