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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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große, einfache Erfindung auf das angenehmste
überraschte. Eine Reihe hoher, schlanker Säulen
bildete oben den Vordertheil des Schlosses. Eine
schöne, steinerne Stiege, welche die ganze Breite
des Hauses einnahm, führte zu diesem Säulen-
Eingange hinauf. Die Stiege erhob sich nur all¬
mählig und terrassenförmig und war mit Orangen,
Citronenbäumen und verschiedenen hohen Blumen
besetzt. Vor dieser blühenden Terrasse lag ein wei¬
ter, Schattenreicher Garten ausgebreitet.

Alles war still, es schien niemand zu Hause zu
seyn. Auf der Stiege lag ein schönes, etwa zehn¬
jähriges Mädchen über einem Tambourin, auf das
sie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte, eingeschlum¬
mert. Oben hörte man eine Flötenuhr spielen.
Das Mädchen wachte auf, als sie an sie heranka¬
men, und schüttelte erstaunt die schwarzen Locken
aus den munteren Augen. Dann sprang sie scheu
auf und in den Garten fort, während die Schellen
des Tambourins, das sie hoch in die Luft hielt,
hell erklangen.

Die beyden Grafen giengen nun in den Garten
hinab, dessen ganze Anlage sie nicht weniger anzog,
als das Aeußere des Schlosses. Wie wahr ist es,
sagte Friedrich, daß jede Gegend schon von Natur
ihre eigenthümliche Schönheit, ihre eigene Idee
hat, die sie mit ihren Bächen, Bäumen und Ber¬
gen, wie mit abgebrochenen Worten, auszusprechen
sucht. Wen diese einzelnen Laute rühren, der sezt
mit wenigen Mitteln die ganze Rede zusammen.

große, einfache Erfindung auf das angenehmſte
überraſchte. Eine Reihe hoher, ſchlanker Säulen
bildete oben den Vordertheil des Schloſſes. Eine
ſchöne, ſteinerne Stiege, welche die ganze Breite
des Hauſes einnahm, führte zu dieſem Säulen-
Eingange hinauf. Die Stiege erhob ſich nur all¬
mählig und terraſſenförmig und war mit Orangen,
Citronenbäumen und verſchiedenen hohen Blumen
beſetzt. Vor dieſer blühenden Terraſſe lag ein wei¬
ter, Schattenreicher Garten ausgebreitet.

Alles war ſtill, es ſchien niemand zu Hauſe zu
ſeyn. Auf der Stiege lag ein ſchönes, etwa zehn¬
jähriges Mädchen über einem Tambourin, auf das
ſie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte, eingeſchlum¬
mert. Oben hörte man eine Flötenuhr ſpielen.
Das Mädchen wachte auf, als ſie an ſie heranka¬
men, und ſchüttelte erſtaunt die ſchwarzen Locken
aus den munteren Augen. Dann ſprang ſie ſcheu
auf und in den Garten fort, während die Schellen
des Tambourins, das ſie hoch in die Luft hielt,
hell erklangen.

Die beyden Grafen giengen nun in den Garten
hinab, deſſen ganze Anlage ſie nicht weniger anzog,
als das Aeußere des Schloſſes. Wie wahr iſt es,
ſagte Friedrich, daß jede Gegend ſchon von Natur
ihre eigenthümliche Schönheit, ihre eigene Idee
hat, die ſie mit ihren Bächen, Bäumen und Ber¬
gen, wie mit abgebrochenen Worten, auszuſprechen
ſucht. Wen dieſe einzelnen Laute rühren, der ſezt
mit wenigen Mitteln die ganze Rede zuſammen.

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[146/0152] große, einfache Erfindung auf das angenehmſte überraſchte. Eine Reihe hoher, ſchlanker Säulen bildete oben den Vordertheil des Schloſſes. Eine ſchöne, ſteinerne Stiege, welche die ganze Breite des Hauſes einnahm, führte zu dieſem Säulen- Eingange hinauf. Die Stiege erhob ſich nur all¬ mählig und terraſſenförmig und war mit Orangen, Citronenbäumen und verſchiedenen hohen Blumen beſetzt. Vor dieſer blühenden Terraſſe lag ein wei¬ ter, Schattenreicher Garten ausgebreitet. Alles war ſtill, es ſchien niemand zu Hauſe zu ſeyn. Auf der Stiege lag ein ſchönes, etwa zehn¬ jähriges Mädchen über einem Tambourin, auf das ſie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte, eingeſchlum¬ mert. Oben hörte man eine Flötenuhr ſpielen. Das Mädchen wachte auf, als ſie an ſie heranka¬ men, und ſchüttelte erſtaunt die ſchwarzen Locken aus den munteren Augen. Dann ſprang ſie ſcheu auf und in den Garten fort, während die Schellen des Tambourins, das ſie hoch in die Luft hielt, hell erklangen. Die beyden Grafen giengen nun in den Garten hinab, deſſen ganze Anlage ſie nicht weniger anzog, als das Aeußere des Schloſſes. Wie wahr iſt es, ſagte Friedrich, daß jede Gegend ſchon von Natur ihre eigenthümliche Schönheit, ihre eigene Idee hat, die ſie mit ihren Bächen, Bäumen und Ber¬ gen, wie mit abgebrochenen Worten, auszuſprechen ſucht. Wen dieſe einzelnen Laute rühren, der ſezt mit wenigen Mitteln die ganze Rede zuſammen.

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/152>, abgerufen am 23.11.2024.