Julien, wann ihre Hochzeit seyn werde, wieviel seine Wäsche sie mitbekomme, wie sie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. s. w. Dort in dem Schlößchen unten, fuhr sie fort, werden wir woh¬ nen. Leontin warf einen Blick durch das offene Fenster und sah das Dach des Schlößchens, so eben vom Abendroth beleuchtet, unbeschreiblich einsam und verlassen aus den Wäldern hervorragen. Eine große Bangsamkeit überflog da sein Herz und er versank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬ deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit angehört, schämte sich und verdeckte ihr Gesicht mit beyden Händchen.
In diesem Augenblick hörte man ein verworre¬ nes Getöse auf der Stiege, die Thüre gähnte und spie einen ganzen Knäuel der seltsamsten und aben¬ theuerlichsten Zerrbilder und Mißgestalten aus, wie sie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in sich selber arbeitende Phantasie ersinnen konnte. Viktor! -- riefen Leontin und Friedrich zugleich, und sie hat¬ ten es errathen. Dieser hatte nemlich in möglich¬ ster Hast alles Altmodische, Lächerliche und Zer¬ lumpte von Kleidungsstücken, dessen er habhaft wer¬ den konnte, zusammengerafft und damit die Bedien¬ ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit einem unübertrefflich raschen und glücklichen Witze hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬ theilt, was ihm zukam, und so durch eine unge¬ wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichsten den Phan¬ tasiereichsten Charakterzug erschaffen. Da keine Lar¬
Julien, wann ihre Hochzeit ſeyn werde, wieviel ſeine Wäſche ſie mitbekomme, wie ſie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. ſ. w. Dort in dem Schlößchen unten, fuhr ſie fort, werden wir woh¬ nen. Leontin warf einen Blick durch das offene Fenſter und ſah das Dach des Schlößchens, ſo eben vom Abendroth beleuchtet, unbeſchreiblich einſam und verlaſſen aus den Wäldern hervorragen. Eine große Bangſamkeit überflog da ſein Herz und er verſank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬ deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit angehört, ſchämte ſich und verdeckte ihr Geſicht mit beyden Händchen.
In dieſem Augenblick hörte man ein verworre¬ nes Getöſe auf der Stiege, die Thüre gähnte und ſpie einen ganzen Knäuel der ſeltſamſten und aben¬ theuerlichſten Zerrbilder und Mißgeſtalten aus, wie ſie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in ſich ſelber arbeitende Phantaſie erſinnen konnte. Viktor! — riefen Leontin und Friedrich zugleich, und ſie hat¬ ten es errathen. Dieſer hatte nemlich in möglich¬ ſter Haſt alles Altmodiſche, Lächerliche und Zer¬ lumpte von Kleidungsſtücken, deſſen er habhaft wer¬ den konnte, zuſammengerafft und damit die Bedien¬ ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit einem unübertrefflich raſchen und glücklichen Witze hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬ theilt, was ihm zukam, und ſo durch eine unge¬ wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichſten den Phan¬ taſiereichſten Charakterzug erſchaffen. Da keine Lar¬
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Julien, wann ihre Hochzeit ſeyn werde, wieviel
ſeine Wäſche ſie mitbekomme, wie ſie ihren kleinen
Garten einrichten wollten u. ſ. w. Dort in dem
Schlößchen unten, fuhr ſie fort, werden wir woh¬
nen. Leontin warf einen Blick durch das offene
Fenſter und ſah das Dach des Schlößchens, ſo eben
vom Abendroth beleuchtet, unbeſchreiblich einſam
und verlaſſen aus den Wäldern hervorragen. Eine
große Bangſamkeit überflog da ſein Herz und er
verſank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬
deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit
angehört, ſchämte ſich und verdeckte ihr Geſicht mit
beyden Händchen.
In dieſem Augenblick hörte man ein verworre¬
nes Getöſe auf der Stiege, die Thüre gähnte und
ſpie einen ganzen Knäuel der ſeltſamſten und aben¬
theuerlichſten Zerrbilder und Mißgeſtalten aus, wie
ſie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in ſich ſelber
arbeitende Phantaſie erſinnen konnte. Viktor! —
riefen Leontin und Friedrich zugleich, und ſie hat¬
ten es errathen. Dieſer hatte nemlich in möglich¬
ſter Haſt alles Altmodiſche, Lächerliche und Zer¬
lumpte von Kleidungsſtücken, deſſen er habhaft wer¬
den konnte, zuſammengerafft und damit die Bedien¬
ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit
einem unübertrefflich raſchen und glücklichen Witze
hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬
theilt, was ihm zukam, und ſo durch eine unge¬
wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichſten den Phan¬
taſiereichſten Charakterzug erſchaffen. Da keine Lar¬
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/136>, abgerufen am 27.11.2024.
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