Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Julien, wann ihre Hochzeit seyn werde, wieviel
seine Wäsche sie mitbekomme, wie sie ihren kleinen
Garten einrichten wollten u. s. w. Dort in dem
Schlößchen unten, fuhr sie fort, werden wir woh¬
nen. Leontin warf einen Blick durch das offene
Fenster und sah das Dach des Schlößchens, so eben
vom Abendroth beleuchtet, unbeschreiblich einsam
und verlassen aus den Wäldern hervorragen. Eine
große Bangsamkeit überflog da sein Herz und er
versank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬
deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit
angehört, schämte sich und verdeckte ihr Gesicht mit
beyden Händchen.

In diesem Augenblick hörte man ein verworre¬
nes Getöse auf der Stiege, die Thüre gähnte und
spie einen ganzen Knäuel der seltsamsten und aben¬
theuerlichsten Zerrbilder und Mißgestalten aus, wie
sie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in sich selber
arbeitende Phantasie ersinnen konnte. Viktor! --
riefen Leontin und Friedrich zugleich, und sie hat¬
ten es errathen. Dieser hatte nemlich in möglich¬
ster Hast alles Altmodische, Lächerliche und Zer¬
lumpte von Kleidungsstücken, dessen er habhaft wer¬
den konnte, zusammengerafft und damit die Bedien¬
ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit
einem unübertrefflich raschen und glücklichen Witze
hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬
theilt, was ihm zukam, und so durch eine unge¬
wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichsten den Phan¬
tasiereichsten Charakterzug erschaffen. Da keine Lar¬

Julien, wann ihre Hochzeit ſeyn werde, wieviel
ſeine Wäſche ſie mitbekomme, wie ſie ihren kleinen
Garten einrichten wollten u. ſ. w. Dort in dem
Schlößchen unten, fuhr ſie fort, werden wir woh¬
nen. Leontin warf einen Blick durch das offene
Fenſter und ſah das Dach des Schlößchens, ſo eben
vom Abendroth beleuchtet, unbeſchreiblich einſam
und verlaſſen aus den Wäldern hervorragen. Eine
große Bangſamkeit überflog da ſein Herz und er
verſank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬
deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit
angehört, ſchämte ſich und verdeckte ihr Geſicht mit
beyden Händchen.

In dieſem Augenblick hörte man ein verworre¬
nes Getöſe auf der Stiege, die Thüre gähnte und
ſpie einen ganzen Knäuel der ſeltſamſten und aben¬
theuerlichſten Zerrbilder und Mißgeſtalten aus, wie
ſie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in ſich ſelber
arbeitende Phantaſie erſinnen konnte. Viktor! —
riefen Leontin und Friedrich zugleich, und ſie hat¬
ten es errathen. Dieſer hatte nemlich in möglich¬
ſter Haſt alles Altmodiſche, Lächerliche und Zer¬
lumpte von Kleidungsſtücken, deſſen er habhaft wer¬
den konnte, zuſammengerafft und damit die Bedien¬
ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit
einem unübertrefflich raſchen und glücklichen Witze
hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬
theilt, was ihm zukam, und ſo durch eine unge¬
wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichſten den Phan¬
taſiereichſten Charakterzug erſchaffen. Da keine Lar¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="130"/>
Julien, wann ihre Hochzeit &#x017F;eyn werde, wieviel<lb/>
&#x017F;eine Wä&#x017F;che &#x017F;ie mitbekomme, wie &#x017F;ie ihren kleinen<lb/>
Garten einrichten wollten u. &#x017F;. w. Dort in dem<lb/>
Schlößchen unten, fuhr &#x017F;ie fort, werden wir woh¬<lb/>
nen. Leontin warf einen Blick durch das offene<lb/>
Fen&#x017F;ter und &#x017F;ah das Dach des Schlößchens, &#x017F;o eben<lb/>
vom Abendroth beleuchtet, unbe&#x017F;chreiblich ein&#x017F;am<lb/>
und verla&#x017F;&#x017F;en aus den Wäldern hervorragen. Eine<lb/>
große Bang&#x017F;amkeit überflog da &#x017F;ein Herz und er<lb/>
ver&#x017F;ank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬<lb/>
deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit<lb/>
angehört, &#x017F;chämte &#x017F;ich und verdeckte ihr Ge&#x017F;icht mit<lb/>
beyden Händchen.</p><lb/>
          <p>In die&#x017F;em Augenblick hörte man ein verworre¬<lb/>
nes Getö&#x017F;e auf der Stiege, die Thüre gähnte und<lb/>
&#x017F;pie einen ganzen Knäuel der &#x017F;elt&#x017F;am&#x017F;ten und aben¬<lb/>
theuerlich&#x017F;ten Zerrbilder und Mißge&#x017F;talten aus, wie<lb/>
&#x017F;ie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
arbeitende Phanta&#x017F;ie er&#x017F;innen konnte. Viktor! &#x2014;<lb/>
riefen Leontin und Friedrich zugleich, und &#x017F;ie hat¬<lb/>
ten es errathen. Die&#x017F;er hatte nemlich in möglich¬<lb/>
&#x017F;ter Ha&#x017F;t alles Altmodi&#x017F;che, Lächerliche und Zer¬<lb/>
lumpte von Kleidungs&#x017F;tücken, de&#x017F;&#x017F;en er habhaft wer¬<lb/>
den konnte, zu&#x017F;ammengerafft und damit die Bedien¬<lb/>
ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit<lb/>
einem unübertrefflich ra&#x017F;chen und glücklichen Witze<lb/>
hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬<lb/>
theilt, was ihm zukam, und &#x017F;o durch eine unge¬<lb/>
wöhnliche Verbindung des Gewöhnlich&#x017F;ten den Phan¬<lb/>
ta&#x017F;iereich&#x017F;ten Charakterzug er&#x017F;chaffen. Da keine Lar¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0136] Julien, wann ihre Hochzeit ſeyn werde, wieviel ſeine Wäſche ſie mitbekomme, wie ſie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. ſ. w. Dort in dem Schlößchen unten, fuhr ſie fort, werden wir woh¬ nen. Leontin warf einen Blick durch das offene Fenſter und ſah das Dach des Schlößchens, ſo eben vom Abendroth beleuchtet, unbeſchreiblich einſam und verlaſſen aus den Wäldern hervorragen. Eine große Bangſamkeit überflog da ſein Herz und er verſank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬ deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit angehört, ſchämte ſich und verdeckte ihr Geſicht mit beyden Händchen. In dieſem Augenblick hörte man ein verworre¬ nes Getöſe auf der Stiege, die Thüre gähnte und ſpie einen ganzen Knäuel der ſeltſamſten und aben¬ theuerlichſten Zerrbilder und Mißgeſtalten aus, wie ſie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in ſich ſelber arbeitende Phantaſie erſinnen konnte. Viktor! — riefen Leontin und Friedrich zugleich, und ſie hat¬ ten es errathen. Dieſer hatte nemlich in möglich¬ ſter Haſt alles Altmodiſche, Lächerliche und Zer¬ lumpte von Kleidungsſtücken, deſſen er habhaft wer¬ den konnte, zuſammengerafft und damit die Bedien¬ ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit einem unübertrefflich raſchen und glücklichen Witze hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬ theilt, was ihm zukam, und ſo durch eine unge¬ wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichſten den Phan¬ taſiereichſten Charakterzug erſchaffen. Da keine Lar¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/136
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/136>, abgerufen am 27.11.2024.