Es war festgesezt worden, daß die ganze Fa¬ milie eine kleine Reise auf ein Jagdgut des Herrn v. A. unternehmen sollte, das einige Meilen von dem Schlosse entfernt war. Am Morgen des be¬ stimmten Tages wachte Friedrich sehr zeitig auf. Er stellte sich an's Fenster. Der Hof und die gan¬ ze Gegend lag noch ruhig, am fernen Horizonte fieng bereits an, der Tag zu grauen. Nur zwey Jäger waren auch schon munter und putzten unten im Hofe die Gewehre. Sie bemerkten den Grafen nicht und schwatzten und lachten miteinander. Frie¬ drich hörte dabey mit Verwunderung mehreremal Fräulein Julien nennen. Der eine Jäger, ein schö¬ ner junger Bursch, sang darauf mit heller Stimme ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letz¬ ten Verse, womit sich jede Strophe schloß, vorstand:
Das Fräulein ist ein schönes Kind,
Sie hat so munt're Augen, Die Augen so verliebet sind, Zu sonst sie gar nichts taugen.
Friedrich erschrack, denn er zweifelte nicht, daß das Lied Julien gelten sollte. Er überdachte das Benehmen des Fräuleins in der lezten Zeit, das Verstecken des Bildes und verschiedene hingeworfe¬ ne Reden, und konnte sich selbst der Meynung nicht
Achtes Kapitel.
Es war feſtgeſezt worden, daß die ganze Fa¬ milie eine kleine Reiſe auf ein Jagdgut des Herrn v. A. unternehmen ſollte, das einige Meilen von dem Schloſſe entfernt war. Am Morgen des be¬ ſtimmten Tages wachte Friedrich ſehr zeitig auf. Er ſtellte ſich an's Fenſter. Der Hof und die gan¬ ze Gegend lag noch ruhig, am fernen Horizonte fieng bereits an, der Tag zu grauen. Nur zwey Jäger waren auch ſchon munter und putzten unten im Hofe die Gewehre. Sie bemerkten den Grafen nicht und ſchwatzten und lachten miteinander. Frie¬ drich hörte dabey mit Verwunderung mehreremal Fräulein Julien nennen. Der eine Jäger, ein ſchö¬ ner junger Burſch, ſang darauf mit heller Stimme ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letz¬ ten Verſe, womit ſich jede Strophe ſchloß, vorſtand:
Das Fräulein iſt ein ſchönes Kind,
Sie hat ſo munt're Augen, Die Augen ſo verliebet ſind, Zu ſonſt ſie gar nichts taugen.
Friedrich erſchrack, denn er zweifelte nicht, daß das Lied Julien gelten ſollte. Er überdachte das Benehmen des Fräuleins in der lezten Zeit, das Verſtecken des Bildes und verſchiedene hingeworfe¬ ne Reden, und konnte ſich ſelbſt der Meynung nicht
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Achtes Kapitel.
Es war feſtgeſezt worden, daß die ganze Fa¬
milie eine kleine Reiſe auf ein Jagdgut des Herrn
v. A. unternehmen ſollte, das einige Meilen von
dem Schloſſe entfernt war. Am Morgen des be¬
ſtimmten Tages wachte Friedrich ſehr zeitig auf.
Er ſtellte ſich an's Fenſter. Der Hof und die gan¬
ze Gegend lag noch ruhig, am fernen Horizonte
fieng bereits an, der Tag zu grauen. Nur zwey
Jäger waren auch ſchon munter und putzten unten
im Hofe die Gewehre. Sie bemerkten den Grafen
nicht und ſchwatzten und lachten miteinander. Frie¬
drich hörte dabey mit Verwunderung mehreremal
Fräulein Julien nennen. Der eine Jäger, ein ſchö¬
ner junger Burſch, ſang darauf mit heller Stimme
ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letz¬
ten Verſe, womit ſich jede Strophe ſchloß, vorſtand:
Das Fräulein iſt ein ſchönes Kind,
Sie hat ſo munt're Augen,
Die Augen ſo verliebet ſind,
Zu ſonſt ſie gar nichts taugen.
Friedrich erſchrack, denn er zweifelte nicht, daß
das Lied Julien gelten ſollte. Er überdachte das
Benehmen des Fräuleins in der lezten Zeit, das
Verſtecken des Bildes und verſchiedene hingeworfe¬
ne Reden, und konnte ſich ſelbſt der Meynung nicht
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/125>, abgerufen am 27.11.2024.
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