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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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ter Ruhe aus sich selber den reichen Frühling aus¬
brütet.

Desto besser schien das Fräulein mit Friedrich
zu stehen. Diesem erzählte sie zutraulich mit einer
wohlthuenden Bestimmtheit und Umsicht von ihrem
Hauswesen, ihrer beschränkten Lebensweise, zeigte
ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres
Vaters, die meistentheils aus fabelhaften Reisebe¬
schreibungen und alten Romanen aus dem Engli¬
schen bestand, und that dabey unbewußt mit ein¬
zelnen, abgerissenen, ihr ganz eignen Worten oft
Aeusserungen, die eine solche Tiefe und Fülle des
Gemüthes aufdeckten, und so seltsam weit über den
beschränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten, daß
Friedrich oft erstaunt vor ihr stand und durch
ihre großen, blauen Augen in ein Wunderreich hin¬
unterzublicken glaubte. Leontin sah sie oft Stun¬
denlang so zusammen im Garten gehen und war
dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelassen,
welches bey ihm immer ein schlimmes Zeichen war.

Der schöne Knabe Erwin, der mit einer un¬
beschreiblichen Treue an Friedrich hieng, behielt
indeß auch hier seine Sonderbarkeiten bey. Er hat¬
te ebenfalls seinen Wohnplatz in dem Garten aufge¬
schlagen und war noch immer nicht dahin zu brin¬
gen, eine Nacht im Hause zu schlafen. Leontin
hatte für ihn eine eigne phantastische Tracht ausge¬
sonnen, so viel auch die Tante, die es sehr unge¬
reimt fand, dagegen hatte. Eine Art von spani¬

ter Ruhe aus ſich ſelber den reichen Frühling aus¬
brütet.

Deſto beſſer ſchien das Fräulein mit Friedrich
zu ſtehen. Dieſem erzählte ſie zutraulich mit einer
wohlthuenden Beſtimmtheit und Umſicht von ihrem
Hausweſen, ihrer beſchränkten Lebensweiſe, zeigte
ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres
Vaters, die meiſtentheils aus fabelhaften Reiſebe¬
ſchreibungen und alten Romanen aus dem Engli¬
ſchen beſtand, und that dabey unbewußt mit ein¬
zelnen, abgeriſſenen, ihr ganz eignen Worten oft
Aeuſſerungen, die eine ſolche Tiefe und Fülle des
Gemüthes aufdeckten, und ſo ſeltſam weit über den
beſchränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten, daß
Friedrich oft erſtaunt vor ihr ſtand und durch
ihre großen, blauen Augen in ein Wunderreich hin¬
unterzublicken glaubte. Leontin ſah ſie oft Stun¬
denlang ſo zuſammen im Garten gehen und war
dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelaſſen,
welches bey ihm immer ein ſchlimmes Zeichen war.

Der ſchöne Knabe Erwin, der mit einer un¬
beſchreiblichen Treue an Friedrich hieng, behielt
indeß auch hier ſeine Sonderbarkeiten bey. Er hat¬
te ebenfalls ſeinen Wohnplatz in dem Garten aufge¬
ſchlagen und war noch immer nicht dahin zu brin¬
gen, eine Nacht im Hauſe zu ſchlafen. Leontin
hatte für ihn eine eigne phantaſtiſche Tracht ausge¬
ſonnen, ſo viel auch die Tante, die es ſehr unge¬
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[116/0122] ter Ruhe aus ſich ſelber den reichen Frühling aus¬ brütet. Deſto beſſer ſchien das Fräulein mit Friedrich zu ſtehen. Dieſem erzählte ſie zutraulich mit einer wohlthuenden Beſtimmtheit und Umſicht von ihrem Hausweſen, ihrer beſchränkten Lebensweiſe, zeigte ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres Vaters, die meiſtentheils aus fabelhaften Reiſebe¬ ſchreibungen und alten Romanen aus dem Engli¬ ſchen beſtand, und that dabey unbewußt mit ein¬ zelnen, abgeriſſenen, ihr ganz eignen Worten oft Aeuſſerungen, die eine ſolche Tiefe und Fülle des Gemüthes aufdeckten, und ſo ſeltſam weit über den beſchränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten, daß Friedrich oft erſtaunt vor ihr ſtand und durch ihre großen, blauen Augen in ein Wunderreich hin¬ unterzublicken glaubte. Leontin ſah ſie oft Stun¬ denlang ſo zuſammen im Garten gehen und war dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelaſſen, welches bey ihm immer ein ſchlimmes Zeichen war. Der ſchöne Knabe Erwin, der mit einer un¬ beſchreiblichen Treue an Friedrich hieng, behielt indeß auch hier ſeine Sonderbarkeiten bey. Er hat¬ te ebenfalls ſeinen Wohnplatz in dem Garten aufge¬ ſchlagen und war noch immer nicht dahin zu brin¬ gen, eine Nacht im Hauſe zu ſchlafen. Leontin hatte für ihn eine eigne phantaſtiſche Tracht ausge¬ ſonnen, ſo viel auch die Tante, die es ſehr unge¬ reimt fand, dagegen hatte. Eine Art von ſpani¬

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/122>, abgerufen am 27.11.2024.