Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den
häuslichen Geschäften mit der strengsten Ordnung
zu unterstützen. Sonst war sie still und wußte sich
eben so wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche
Unterhaltung zu finden, worüber sie oft von der
Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete
die beständige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬
thes einen unwiderstehlichen Frühling über ihr gan¬
zes Wesen. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬
sten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, beschäf¬
tigte sich viel mit ihr, sang ihr seine phantastischen
Lieder vor oder zeichnete ihr Landschaften voll aben¬
theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Felsen,
die immer aussahen, wie Träume. Aber er fand,
daß sie gewöhnlich nicht wußte, was sie mit alle
dem anfangen sollte, daß sie grade bey Dingen,
die ihn besonders erfaßten, fast kalt blieb. Er be¬
griff nicht, daß das heiligste Wesen des weiblichen
Gemüthes in der Sitte und dem Anstande bestehe,
daß ihm in der Kunst, wie im Leben, alles Zügel¬
lose ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬
lich ungeduldig und brach dann in seiner seltsamen
Art in Witze und Wortspiele aus. Da aber das
Fräulein wieder viel zu unbelesen war, um diese
Sprünge seines Geistes zu verfolgen und zu verste¬
hen, so führte er, statt zu belehren, einen immer¬
währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen,
dessen Seele war wie das Himmelblau, in dem
jeder fremde Schall verfliegt, das aber in ungestör¬

8 *

Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den
häuslichen Geſchäften mit der ſtrengſten Ordnung
zu unterſtützen. Sonſt war ſie ſtill und wußte ſich
eben ſo wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche
Unterhaltung zu finden, worüber ſie oft von der
Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete
die beſtändige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬
thes einen unwiderſtehlichen Frühling über ihr gan¬
zes Weſen. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬
ſten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, beſchäf¬
tigte ſich viel mit ihr, ſang ihr ſeine phantaſtiſchen
Lieder vor oder zeichnete ihr Landſchaften voll aben¬
theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Felſen,
die immer ausſahen, wie Träume. Aber er fand,
daß ſie gewöhnlich nicht wußte, was ſie mit alle
dem anfangen ſollte, daß ſie grade bey Dingen,
die ihn beſonders erfaßten, faſt kalt blieb. Er be¬
griff nicht, daß das heiligſte Weſen des weiblichen
Gemüthes in der Sitte und dem Anſtande beſtehe,
daß ihm in der Kunſt, wie im Leben, alles Zügel¬
loſe ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬
lich ungeduldig und brach dann in ſeiner ſeltſamen
Art in Witze und Wortſpiele aus. Da aber das
Fräulein wieder viel zu unbeleſen war, um dieſe
Sprünge ſeines Geiſtes zu verfolgen und zu verſte¬
hen, ſo führte er, ſtatt zu belehren, einen immer¬
währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen,
deſſen Seele war wie das Himmelblau, in dem
jeder fremde Schall verfliegt, das aber in ungeſtör¬

8 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0121" n="115"/>
          <p>Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den<lb/>
häuslichen Ge&#x017F;chäften mit der &#x017F;treng&#x017F;ten Ordnung<lb/>
zu unter&#x017F;tützen. Son&#x017F;t war &#x017F;ie &#x017F;till und wußte &#x017F;ich<lb/>
eben &#x017F;o wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche<lb/>
Unterhaltung zu finden, worüber &#x017F;ie oft von der<lb/>
Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete<lb/>
die be&#x017F;tändige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬<lb/>
thes einen unwider&#x017F;tehlichen Frühling über ihr gan¬<lb/>
zes We&#x017F;en. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬<lb/>
&#x017F;ten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, be&#x017F;chäf¬<lb/>
tigte &#x017F;ich viel mit ihr, &#x017F;ang ihr &#x017F;eine phanta&#x017F;ti&#x017F;chen<lb/>
Lieder vor oder zeichnete ihr Land&#x017F;chaften voll aben¬<lb/>
theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Fel&#x017F;en,<lb/>
die immer aus&#x017F;ahen, wie Träume. Aber er fand,<lb/>
daß &#x017F;ie gewöhnlich nicht wußte, was &#x017F;ie mit alle<lb/>
dem anfangen &#x017F;ollte, daß &#x017F;ie grade bey Dingen,<lb/>
die ihn be&#x017F;onders erfaßten, fa&#x017F;t kalt blieb. Er be¬<lb/>
griff nicht, daß das heilig&#x017F;te We&#x017F;en des weiblichen<lb/>
Gemüthes in der Sitte und dem An&#x017F;tande be&#x017F;tehe,<lb/>
daß ihm in der Kun&#x017F;t, wie im Leben, alles Zügel¬<lb/>
lo&#x017F;e ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬<lb/>
lich ungeduldig und brach dann in &#x017F;einer &#x017F;elt&#x017F;amen<lb/>
Art in Witze und Wort&#x017F;piele aus. Da aber das<lb/>
Fräulein wieder viel zu unbele&#x017F;en war, um die&#x017F;e<lb/>
Sprünge &#x017F;eines Gei&#x017F;tes zu verfolgen und zu ver&#x017F;te¬<lb/>
hen, &#x017F;o führte er, &#x017F;tatt zu belehren, einen immer¬<lb/>
währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Seele war wie das Himmelblau, in dem<lb/>
jeder fremde Schall verfliegt, das aber in unge&#x017F;tör¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0121] Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den häuslichen Geſchäften mit der ſtrengſten Ordnung zu unterſtützen. Sonſt war ſie ſtill und wußte ſich eben ſo wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche Unterhaltung zu finden, worüber ſie oft von der Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete die beſtändige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬ thes einen unwiderſtehlichen Frühling über ihr gan¬ zes Weſen. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬ ſten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, beſchäf¬ tigte ſich viel mit ihr, ſang ihr ſeine phantaſtiſchen Lieder vor oder zeichnete ihr Landſchaften voll aben¬ theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Felſen, die immer ausſahen, wie Träume. Aber er fand, daß ſie gewöhnlich nicht wußte, was ſie mit alle dem anfangen ſollte, daß ſie grade bey Dingen, die ihn beſonders erfaßten, faſt kalt blieb. Er be¬ griff nicht, daß das heiligſte Weſen des weiblichen Gemüthes in der Sitte und dem Anſtande beſtehe, daß ihm in der Kunſt, wie im Leben, alles Zügel¬ loſe ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬ lich ungeduldig und brach dann in ſeiner ſeltſamen Art in Witze und Wortſpiele aus. Da aber das Fräulein wieder viel zu unbeleſen war, um dieſe Sprünge ſeines Geiſtes zu verfolgen und zu verſte¬ hen, ſo führte er, ſtatt zu belehren, einen immer¬ währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen, deſſen Seele war wie das Himmelblau, in dem jeder fremde Schall verfliegt, das aber in ungeſtör¬ 8 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/121
Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/121>, abgerufen am 27.11.2024.