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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815.

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Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, mu߬
te Fräulein Julie noch ihre Geschicklichkeit auf dem
Klaviere zeigen, welches sie ziemlich fertig spielte.
Während deß hatte die Tante Friedrich'n bey
Seite genommen, und erzählte ihm, wie sehr sie
bedaure, ihre Nichte nicht frühzeitig in die Residenz
in irgend ein Erziehungshaus geschickt zu haben,
wo allein junge Frauenzimmer das gewisse Etwas
erlernten, welches zum geselligen Leben so unent¬
behrlich sey. Ich bin der Meynung, antwortete ihr
Friedrich, daß jungen Fräulein grade das Land¬
leben am besten fromme. In jenen berühmten
Instituten wird durch Eitelkeit und heillose Nach¬
ahmungssucht die kindliche Eigenthümlichkeit jedes
Mädchens nur verallgemeinert und verdorben. Die
arme Seele wird nach einem Modelle, das für alle
passen soll, so lange dressirt und gemodelt, bis am
Ende davon nichts übrig bleibt, als das leere Mo¬
dell. Ich versichere, ich will alle Mädchen aus sol¬
chen Instituten sogleich an ihrer Wohlerzogenheit er¬
kennen, und wenn ich sie anrede, weiß ich schon
im Voraus, was sie mir antworten werden, was
für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß,
was sie für kleine Lieblingslaunen haben u. s. w.
Die Tante lachte, ohne jedoch eigentlich zu wissen,
was Friedrich mit alle dem meyne.

Unterdeß hatte das Fräulein ein Volkslied an¬
gefangen. Die Tante unterbrach sie schnell und er¬
mahnte sie, doch lieber etwas vernünftiges und
sanftes zu singen. Leontin aber, den dabey seine

Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, mu߬
te Fräulein Julie noch ihre Geſchicklichkeit auf dem
Klaviere zeigen, welches ſie ziemlich fertig ſpielte.
Während deß hatte die Tante Friedrich'n bey
Seite genommen, und erzählte ihm, wie ſehr ſie
bedaure, ihre Nichte nicht frühzeitig in die Reſidenz
in irgend ein Erziehungshaus geſchickt zu haben,
wo allein junge Frauenzimmer das gewiſſe Etwas
erlernten, welches zum geſelligen Leben ſo unent¬
behrlich ſey. Ich bin der Meynung, antwortete ihr
Friedrich, daß jungen Fräulein grade das Land¬
leben am beſten fromme. In jenen berühmten
Inſtituten wird durch Eitelkeit und heilloſe Nach¬
ahmungsſucht die kindliche Eigenthümlichkeit jedes
Mädchens nur verallgemeinert und verdorben. Die
arme Seele wird nach einem Modelle, das für alle
paſſen ſoll, ſo lange dreſſirt und gemodelt, bis am
Ende davon nichts übrig bleibt, als das leere Mo¬
dell. Ich verſichere, ich will alle Mädchen aus ſol¬
chen Inſtituten ſogleich an ihrer Wohlerzogenheit er¬
kennen, und wenn ich ſie anrede, weiß ich ſchon
im Voraus, was ſie mir antworten werden, was
für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß,
was ſie für kleine Lieblingslaunen haben u. ſ. w.
Die Tante lachte, ohne jedoch eigentlich zu wiſſen,
was Friedrich mit alle dem meyne.

Unterdeß hatte das Fräulein ein Volkslied an¬
gefangen. Die Tante unterbrach ſie ſchnell und er¬
mahnte ſie, doch lieber etwas vernünftiges und
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[109/0115] Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, mu߬ te Fräulein Julie noch ihre Geſchicklichkeit auf dem Klaviere zeigen, welches ſie ziemlich fertig ſpielte. Während deß hatte die Tante Friedrich'n bey Seite genommen, und erzählte ihm, wie ſehr ſie bedaure, ihre Nichte nicht frühzeitig in die Reſidenz in irgend ein Erziehungshaus geſchickt zu haben, wo allein junge Frauenzimmer das gewiſſe Etwas erlernten, welches zum geſelligen Leben ſo unent¬ behrlich ſey. Ich bin der Meynung, antwortete ihr Friedrich, daß jungen Fräulein grade das Land¬ leben am beſten fromme. In jenen berühmten Inſtituten wird durch Eitelkeit und heilloſe Nach¬ ahmungsſucht die kindliche Eigenthümlichkeit jedes Mädchens nur verallgemeinert und verdorben. Die arme Seele wird nach einem Modelle, das für alle paſſen ſoll, ſo lange dreſſirt und gemodelt, bis am Ende davon nichts übrig bleibt, als das leere Mo¬ dell. Ich verſichere, ich will alle Mädchen aus ſol¬ chen Inſtituten ſogleich an ihrer Wohlerzogenheit er¬ kennen, und wenn ich ſie anrede, weiß ich ſchon im Voraus, was ſie mir antworten werden, was für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß, was ſie für kleine Lieblingslaunen haben u. ſ. w. Die Tante lachte, ohne jedoch eigentlich zu wiſſen, was Friedrich mit alle dem meyne. Unterdeß hatte das Fräulein ein Volkslied an¬ gefangen. Die Tante unterbrach ſie ſchnell und er¬ mahnte ſie, doch lieber etwas vernünftiges und ſanftes zu ſingen. Leontin aber, den dabey ſeine

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/115>, abgerufen am 27.11.2024.