Das Gespräch fiel während der Tafel auch auf die Erziehung der Kinder, ein Kapitel, von dem fast alle Weiber am liebsten sprechen und am wenigsten verstehen. Die Tante, die nur auf eine Gelegen¬ heit gepaßt hatte, ihren Geist vor den beyden Fremden glänzen zu lassen, verbreitete sich darüber in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung, Bil¬ dung, feiner Sitten u. s. w. Zu ihrem Unglück aber fiel es dem irrenden Ritter, der unterdeß ganz unten an der Tafel mit Leib und Seele gegessen hatte, ein, sich mit in das Gespräch zu mischen. Gerade als sie sich in ihren Redensarten eben am wohlsten gefiel, fuhr er höchstkomisch mit Wahrhei¬ ten darein, die aber alle so ungewöhnlich und aben¬ theuerlich ausgedrückt waren, daß Friedrich und Leontin nicht wußten, ob sie mehr über die Schärfe seines Geistes oder über seine Verrücktheit erstaunen sollten. Besonders brach Leontin in ein schadenfrohes Gelächter aus. Die Tante, der es nicht an vielseitigen Talenten gebrach, um seine Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden, warf ihm unwillige Blicke zu, worauf sich jener in einem phi¬ losophischen Bombast von Unsinn vertheidigte und endlich selber in ein albernes Lachen ausbrach. Sie hatte aber doch das Spiel verspielt; denn beyde Gäste, besonders Leontin, spürten bereits eine ge¬ wisse Kammeradschaft mit dem räthselhaften irrenden Ritter in sich.
Das Geſpräch fiel während der Tafel auch auf die Erziehung der Kinder, ein Kapitel, von dem faſt alle Weiber am liebſten ſprechen und am wenigſten verſtehen. Die Tante, die nur auf eine Gelegen¬ heit gepaßt hatte, ihren Geiſt vor den beyden Fremden glänzen zu laſſen, verbreitete ſich darüber in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung, Bil¬ dung, feiner Sitten u. ſ. w. Zu ihrem Unglück aber fiel es dem irrenden Ritter, der unterdeß ganz unten an der Tafel mit Leib und Seele gegeſſen hatte, ein, ſich mit in das Geſpräch zu miſchen. Gerade als ſie ſich in ihren Redensarten eben am wohlſten gefiel, fuhr er höchſtkomiſch mit Wahrhei¬ ten darein, die aber alle ſo ungewöhnlich und aben¬ theuerlich ausgedrückt waren, daß Friedrich und Leontin nicht wußten, ob ſie mehr über die Schärfe ſeines Geiſtes oder über ſeine Verrücktheit erſtaunen ſollten. Beſonders brach Leontin in ein ſchadenfrohes Gelächter aus. Die Tante, der es nicht an vielſeitigen Talenten gebrach, um ſeine Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden, warf ihm unwillige Blicke zu, worauf ſich jener in einem phi¬ loſophiſchen Bombaſt von Unſinn vertheidigte und endlich ſelber in ein albernes Lachen ausbrach. Sie hatte aber doch das Spiel verſpielt; denn beyde Gäſte, beſonders Leontin, ſpürten bereits eine ge¬ wiſſe Kammeradſchaft mit dem räthſelhaften irrenden Ritter in ſich.
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[108/0114]
Das Geſpräch fiel während der Tafel auch auf
die Erziehung der Kinder, ein Kapitel, von dem faſt
alle Weiber am liebſten ſprechen und am wenigſten
verſtehen. Die Tante, die nur auf eine Gelegen¬
heit gepaßt hatte, ihren Geiſt vor den beyden
Fremden glänzen zu laſſen, verbreitete ſich darüber
in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung, Bil¬
dung, feiner Sitten u. ſ. w. Zu ihrem Unglück
aber fiel es dem irrenden Ritter, der unterdeß ganz
unten an der Tafel mit Leib und Seele gegeſſen
hatte, ein, ſich mit in das Geſpräch zu miſchen.
Gerade als ſie ſich in ihren Redensarten eben am
wohlſten gefiel, fuhr er höchſtkomiſch mit Wahrhei¬
ten darein, die aber alle ſo ungewöhnlich und aben¬
theuerlich ausgedrückt waren, daß Friedrich und
Leontin nicht wußten, ob ſie mehr über die
Schärfe ſeines Geiſtes oder über ſeine Verrücktheit
erſtaunen ſollten. Beſonders brach Leontin in ein
ſchadenfrohes Gelächter aus. Die Tante, der es
nicht an vielſeitigen Talenten gebrach, um ſeine
Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden, warf ihm
unwillige Blicke zu, worauf ſich jener in einem phi¬
loſophiſchen Bombaſt von Unſinn vertheidigte und
endlich ſelber in ein albernes Lachen ausbrach. Sie
hatte aber doch das Spiel verſpielt; denn beyde
Gäſte, beſonders Leontin, ſpürten bereits eine ge¬
wiſſe Kammeradſchaft mit dem räthſelhaften irrenden
Ritter in ſich.
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Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/114>, abgerufen am 27.11.2024.
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