fand, aus deren erleuchteten Fenstern die Tanzmu¬ sik zu ihnen herüberschallte. Leontin, den diese gan¬ ze, unverhoffte Begebenheit in die lustigste Laune versetzt hatte, schwang sich sogleich über den Gar¬ tenzaun und überredete auch Friedrich, ihm zu folgen. Der Garten war ganz still, sie giengen daher durch die verschiedenen Gänge bis an das Wohnhaus. Die Fenster des Zimmers, wo getanzt wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer, dichtbelaubter Baum stand da am Hause und brei¬ tete seine Aeste grade vor den Fenstern aus. Der Baum ist eine wahre Jakobsleiter, sagte Leontin, und war im Augenblicke droben. Friedrich wollte durchaus nicht mit hinauf. Das Belauschen, sagte er, besonders fröhlicher Menschen in ihrer Lust, hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn du Umstände machst, rief Leontin von oben, so fan¬ ge ich hier so ein Geschrey an, daß alle zusammen¬ laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die Hausthüre unten und Friedrich bestieg daher ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz.
Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬ mes konnten sie die ganze Gesellschaft übersehen. Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar nach dem andern flog an dem Fenster vorüber. Junge, flüchtige Oekonomen, wie es schien, in knappen und engzugespitzten Fracken fegten tapfer mit tüchtigen Mädchen, die vor Gesundheit und
fand, aus deren erleuchteten Fenſtern die Tanzmu¬ ſik zu ihnen herüberſchallte. Leontin, den dieſe gan¬ ze, unverhoffte Begebenheit in die luſtigſte Laune verſetzt hatte, ſchwang ſich ſogleich über den Gar¬ tenzaun und überredete auch Friedrich, ihm zu folgen. Der Garten war ganz ſtill, ſie giengen daher durch die verſchiedenen Gänge bis an das Wohnhaus. Die Fenſter des Zimmers, wo getanzt wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer, dichtbelaubter Baum ſtand da am Hauſe und brei¬ tete ſeine Aeſte grade vor den Fenſtern aus. Der Baum iſt eine wahre Jakobsleiter, ſagte Leontin, und war im Augenblicke droben. Friedrich wollte durchaus nicht mit hinauf. Das Belauſchen, ſagte er, beſonders fröhlicher Menſchen in ihrer Luſt, hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn du Umſtände machſt, rief Leontin von oben, ſo fan¬ ge ich hier ſo ein Geſchrey an, daß alle zuſammen¬ laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die Hausthüre unten und Friedrich beſtieg daher ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz.
Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬ mes konnten ſie die ganze Geſellſchaft überſehen. Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar nach dem andern flog an dem Fenſter vorüber. Junge, flüchtige Oekonomen, wie es ſchien, in knappen und engzugeſpitzten Fracken fegten tapfer mit tüchtigen Mädchen, die vor Geſundheit und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="94"/>
fand, aus deren erleuchteten Fenſtern die Tanzmu¬<lb/>ſik zu ihnen herüberſchallte. Leontin, den dieſe gan¬<lb/>
ze, unverhoffte Begebenheit in die luſtigſte Laune<lb/>
verſetzt hatte, ſchwang ſich ſogleich über den Gar¬<lb/>
tenzaun und überredete auch <hirendition="#g">Friedrich</hi>, ihm zu<lb/>
folgen. Der Garten war ganz ſtill, ſie giengen<lb/>
daher durch die verſchiedenen Gänge bis an das<lb/>
Wohnhaus. Die Fenſter des Zimmers, wo getanzt<lb/>
wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es<lb/>
war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer,<lb/>
dichtbelaubter Baum ſtand da am Hauſe und brei¬<lb/>
tete ſeine Aeſte grade vor den Fenſtern aus. Der<lb/>
Baum iſt eine wahre Jakobsleiter, ſagte Leontin,<lb/>
und war im Augenblicke droben. <hirendition="#g">Friedrich</hi> wollte<lb/>
durchaus nicht mit hinauf. Das Belauſchen, ſagte<lb/>
er, beſonders fröhlicher Menſchen in ihrer Luſt,<lb/>
hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn<lb/>
du Umſtände machſt, rief Leontin von oben, ſo fan¬<lb/>
ge ich hier ſo ein Geſchrey an, daß alle zuſammen¬<lb/>
laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig<lb/>
durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die<lb/>
Hausthüre unten und <hirendition="#g">Friedrich</hi> beſtieg daher<lb/>
ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz.</p><lb/><p>Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬<lb/>
mes konnten ſie die ganze Geſellſchaft überſehen.<lb/>
Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar<lb/>
nach dem andern flog an dem Fenſter vorüber.<lb/>
Junge, flüchtige Oekonomen, wie es ſchien, in<lb/>
knappen und engzugeſpitzten Fracken fegten tapfer<lb/>
mit tüchtigen Mädchen, die vor Geſundheit und<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[94/0100]
fand, aus deren erleuchteten Fenſtern die Tanzmu¬
ſik zu ihnen herüberſchallte. Leontin, den dieſe gan¬
ze, unverhoffte Begebenheit in die luſtigſte Laune
verſetzt hatte, ſchwang ſich ſogleich über den Gar¬
tenzaun und überredete auch Friedrich, ihm zu
folgen. Der Garten war ganz ſtill, ſie giengen
daher durch die verſchiedenen Gänge bis an das
Wohnhaus. Die Fenſter des Zimmers, wo getanzt
wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es
war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer,
dichtbelaubter Baum ſtand da am Hauſe und brei¬
tete ſeine Aeſte grade vor den Fenſtern aus. Der
Baum iſt eine wahre Jakobsleiter, ſagte Leontin,
und war im Augenblicke droben. Friedrich wollte
durchaus nicht mit hinauf. Das Belauſchen, ſagte
er, beſonders fröhlicher Menſchen in ihrer Luſt,
hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn
du Umſtände machſt, rief Leontin von oben, ſo fan¬
ge ich hier ſo ein Geſchrey an, daß alle zuſammen¬
laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig
durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die
Hausthüre unten und Friedrich beſtieg daher
ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz.
Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬
mes konnten ſie die ganze Geſellſchaft überſehen.
Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar
nach dem andern flog an dem Fenſter vorüber.
Junge, flüchtige Oekonomen, wie es ſchien, in
knappen und engzugeſpitzten Fracken fegten tapfer
mit tüchtigen Mädchen, die vor Geſundheit und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Ahnung und Gegenwart. Nürnberg, 1815, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_ahnung_1815/100>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.