Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Egger, Augustin: Die christliche Mutter. Erbauungs- und Gebetbuch. - Einsiedeln u. a., [1914].

Bild:
<< vorherige Seite

Geist der Mutter ganz unvermeidlich auf
das Kind über. Die eitle Rücksicht
auf das Urteil und Gefallen der Men-
schen wird zur verborgenen Triebfeder
in der Seele des Kindes, und so edle
Anlagen in derselben schlummern mö-
gen, das Kind wird zu einem eiteln
Wesen, zur Kokette erzogen. Vor ei-
nigen Jahren berichteten die Blätter
von der Tochter eines vornehmen Hau-
ses, die auf dem Sterbebette lag und
das Nahen des Todes fühlte. In
diesem ernsten Augenblicke wandelte sie
die Lust an, sich mit ihrem ganzen
Leichenschmucke bekleidet noch selber zu
sehen. Sie wurde mit demselben ange-
than auf das Paradebett gelegt und dort
vom Tode ereilt. Statt an Gott und
ihre Seele zu denken, starb sie mit
einem eitlen Blick auf ihr Totenkleid.
Da sehen wir eine ausgereifte Frucht
der Erziehungskunst einer eiteln Mutter.

Eine solche Erziehung wirkt na-
mentlich in der heutigen Zeit viel ver-

Geist der Mutter ganz unvermeidlich auf
das Kind über. Die eitle Rücksicht
auf das Urteil und Gefallen der Men-
schen wird zur verborgenen Triebfeder
in der Seele des Kindes, und so edle
Anlagen in derselben schlummern mö-
gen, das Kind wird zu einem eiteln
Wesen, zur Kokette erzogen. Vor ei-
nigen Jahren berichteten die Blätter
von der Tochter eines vornehmen Hau-
ses, die auf dem Sterbebette lag und
das Nahen des Todes fühlte. In
diesem ernsten Augenblicke wandelte sie
die Lust an, sich mit ihrem ganzen
Leichenschmucke bekleidet noch selber zu
sehen. Sie wurde mit demselben ange-
than auf das Paradebett gelegt und dort
vom Tode ereilt. Statt an Gott und
ihre Seele zu denken, starb sie mit
einem eitlen Blick auf ihr Totenkleid.
Da sehen wir eine ausgereifte Frucht
der Erziehungskunst einer eiteln Mutter.

Eine solche Erziehung wirkt na-
mentlich in der heutigen Zeit viel ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0059" xml:id="E29_001_1914_pb0051_0001" n="51"/>
Geist der Mutter ganz unvermeidlich auf<lb/>
das Kind über. Die eitle Rücksicht<lb/>
auf das Urteil und Gefallen der Men-<lb/>
schen wird zur verborgenen Triebfeder<lb/>
in der Seele des Kindes, und so edle<lb/>
Anlagen in derselben schlummern mö-<lb/>
gen, das Kind wird zu einem eiteln<lb/>
Wesen, zur Kokette erzogen. Vor ei-<lb/>
nigen Jahren berichteten die Blätter<lb/>
von der Tochter eines vornehmen Hau-<lb/>
ses, die auf dem Sterbebette lag und<lb/>
das Nahen des Todes fühlte. In<lb/>
diesem ernsten Augenblicke wandelte sie<lb/>
die Lust an, sich mit ihrem ganzen<lb/>
Leichenschmucke bekleidet noch selber zu<lb/>
sehen. Sie wurde mit demselben ange-<lb/>
than auf das Paradebett gelegt und dort<lb/>
vom Tode ereilt. Statt an Gott und<lb/>
ihre Seele zu denken, starb sie mit<lb/>
einem eitlen Blick auf ihr Totenkleid.<lb/>
Da sehen wir eine ausgereifte Frucht<lb/>
der Erziehungskunst einer eiteln Mutter.</p>
          <p>Eine solche Erziehung wirkt na-<lb/>
mentlich in der heutigen Zeit viel ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0059] Geist der Mutter ganz unvermeidlich auf das Kind über. Die eitle Rücksicht auf das Urteil und Gefallen der Men- schen wird zur verborgenen Triebfeder in der Seele des Kindes, und so edle Anlagen in derselben schlummern mö- gen, das Kind wird zu einem eiteln Wesen, zur Kokette erzogen. Vor ei- nigen Jahren berichteten die Blätter von der Tochter eines vornehmen Hau- ses, die auf dem Sterbebette lag und das Nahen des Todes fühlte. In diesem ernsten Augenblicke wandelte sie die Lust an, sich mit ihrem ganzen Leichenschmucke bekleidet noch selber zu sehen. Sie wurde mit demselben ange- than auf das Paradebett gelegt und dort vom Tode ereilt. Statt an Gott und ihre Seele zu denken, starb sie mit einem eitlen Blick auf ihr Totenkleid. Da sehen wir eine ausgereifte Frucht der Erziehungskunst einer eiteln Mutter. Eine solche Erziehung wirkt na- mentlich in der heutigen Zeit viel ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt vom Projekt Digitization Lifecycle am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Anmerkungen zur Transkription:

Bei der Zeichenerkennung wurde nach Vorgabe des DLC modernisiert.

In Absprache mit dem MPI wurden die folgenden Aspekte der Vorlage nicht erfasst:

  • Bogensignaturen und Kustoden
  • Kolumnentitel
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterscheide zugunsten der Identifizierung von titleParts verzichtet.
  • Bei Textpassagen, die als Abschnittsüberschrift ausgeweisen werden können, wird auf die zusätzliche Auszeichnung des Layouts verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.

Es wurden alle Anführungszeichen übernommen und die Zitate zusätzlich mit q ausgezeichnet.

Weiche und harte Zeilentrennungen werden identisch als 002D übernommen. Der Zeilenumbruch selbst über lb ausgezeichnet.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914/59
Zitationshilfe: Egger, Augustin: Die christliche Mutter. Erbauungs- und Gebetbuch. - Einsiedeln u. a., [1914], S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914/59>, abgerufen am 23.11.2024.