Alle verständigen Erzieher erklä- ren übereinstimmend, daß die Kleinen sich um so besser unterhalten, je einfacher, ja selbst je ungenügender das Spiel- zeug ist. Das mag manche Eltern überraschen, ist aber vollkommen rich- tig und auch leicht erklärlich. Was dem Spiele seinen Reiz gibt, das ist die Thätigkeit der kindlichen Einbildungs- kraft. Diese hat viel mehr Spielraum zur Bethätigung, wenn z. B. der Knabe auf einem Stocke als seinem Pferde reitet, und das Mädchen ohne Küche kocht, als wenn vornehme Kin- der schön geschnitzte Pferde und per- fekte Puppenküchen zur Verfügung ha- ben. Die letzteren verleiden ihnen viel schneller, weil die Einbildungskraft nichts mehr dabei zu thun hat. Vor- nehmes Spielzeug übersättigt, lang- weilt und legt den frühen Grund zu späterer Blasiertheit. Gewiegte Pä- dagogen verlangen, man solle so weit möglich die Kleinen ihr Spielzeug
Alle verständigen Erzieher erklä- ren übereinstimmend, daß die Kleinen sich um so besser unterhalten, je einfacher, ja selbst je ungenügender das Spiel- zeug ist. Das mag manche Eltern überraschen, ist aber vollkommen rich- tig und auch leicht erklärlich. Was dem Spiele seinen Reiz gibt, das ist die Thätigkeit der kindlichen Einbildungs- kraft. Diese hat viel mehr Spielraum zur Bethätigung, wenn z. B. der Knabe auf einem Stocke als seinem Pferde reitet, und das Mädchen ohne Küche kocht, als wenn vornehme Kin- der schön geschnitzte Pferde und per- fekte Puppenküchen zur Verfügung ha- ben. Die letzteren verleiden ihnen viel schneller, weil die Einbildungskraft nichts mehr dabei zu thun hat. Vor- nehmes Spielzeug übersättigt, lang- weilt und legt den frühen Grund zu späterer Blasiertheit. Gewiegte Pä- dagogen verlangen, man solle so weit möglich die Kleinen ihr Spielzeug
<TEI><text><body><div><div><pbfacs="#f0286"xml:id="E29_001_1914_pb0278_0001"n="278"/><p>Alle verständigen Erzieher erklä-<lb/>
ren übereinstimmend, daß die Kleinen sich<lb/>
um so besser unterhalten, je einfacher,<lb/>
ja selbst je ungenügender das Spiel-<lb/>
zeug ist. Das mag manche Eltern<lb/>
überraschen, ist aber vollkommen rich-<lb/>
tig und auch leicht erklärlich. Was<lb/>
dem Spiele seinen Reiz gibt, das ist<lb/>
die Thätigkeit der kindlichen Einbildungs-<lb/>
kraft. Diese hat viel mehr Spielraum<lb/>
zur Bethätigung, wenn z. B. der<lb/>
Knabe auf einem Stocke als seinem<lb/>
Pferde reitet, und das Mädchen ohne<lb/>
Küche kocht, als wenn vornehme Kin-<lb/>
der schön geschnitzte Pferde und per-<lb/>
fekte Puppenküchen zur Verfügung ha-<lb/>
ben. Die letzteren verleiden ihnen viel<lb/>
schneller, weil die Einbildungskraft<lb/>
nichts mehr dabei zu thun hat. Vor-<lb/>
nehmes Spielzeug übersättigt, lang-<lb/>
weilt und legt den frühen Grund zu<lb/>
späterer Blasiertheit. Gewiegte Pä-<lb/>
dagogen verlangen, man solle so weit<lb/>
möglich die Kleinen ihr Spielzeug<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[278/0286]
Alle verständigen Erzieher erklä-
ren übereinstimmend, daß die Kleinen sich
um so besser unterhalten, je einfacher,
ja selbst je ungenügender das Spiel-
zeug ist. Das mag manche Eltern
überraschen, ist aber vollkommen rich-
tig und auch leicht erklärlich. Was
dem Spiele seinen Reiz gibt, das ist
die Thätigkeit der kindlichen Einbildungs-
kraft. Diese hat viel mehr Spielraum
zur Bethätigung, wenn z. B. der
Knabe auf einem Stocke als seinem
Pferde reitet, und das Mädchen ohne
Küche kocht, als wenn vornehme Kin-
der schön geschnitzte Pferde und per-
fekte Puppenküchen zur Verfügung ha-
ben. Die letzteren verleiden ihnen viel
schneller, weil die Einbildungskraft
nichts mehr dabei zu thun hat. Vor-
nehmes Spielzeug übersättigt, lang-
weilt und legt den frühen Grund zu
späterer Blasiertheit. Gewiegte Pä-
dagogen verlangen, man solle so weit
möglich die Kleinen ihr Spielzeug
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Egger, Augustin: Die christliche Mutter. Erbauungs- und Gebetbuch. - Einsiedeln u. a., [1914], S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/egger_mutter_1914/286>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.