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[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

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auf die Nerven fällt, wenn wir einmal in concreto darunter zu leiden haben.

Nehmen wir an, es befinden sich in einem gegebenen Raum zehn Personen, von denen eine zum Schnupfen neigt oder nur eine gewisse Antipathie gegen die atmosphärische Luft besitzt, während die übrigen neun von apoplektischer Anlage, vollblütig, zum Schwindel geneigt, von Congestionen bedroht und ausgesprochene Freunde eines ozonreichen Mediums sind. In dem Raum, wo gleichzeitig ein halbes Dutzend Gasflammen brennt und ein coaksüberfüllter Ofen seine ausdörrenden Gluten verströmt, brütet eine Temperatur von zwanzig Grad Reaumur. Die Luft ist nicht nur durch die Exhalationen von zehn menschlichen Lungen, sondern auch durch die mannigfach untereinander gequirlten Düfte eines ausgewählten Menue's - Seezunge, Hummersalat, Wildpret, Plumpudding, Fromage de Brie und sonstige Delikatessen - bis zur Unerträglichkeit überladen. Die neun Apoplektiker sitzen mit schweißüberperlten Stirnen keuchend und fauchend vor den Champagnergläsern und schreien nach Kühlung wie der Hirsch nach dem Wasser. Zwei oder drei sind nahezu blaurot; sie haben schon aufgehört, ihren Sekt zu schlürfen, weil ihnen zu Mut ist, als müßten sie in der nächsten Sekunde vor Hitze aus ihrer gepeinigten Haut fahren. Neun schmachtende Männerseelen sind Eins in dem schönen Gedanken, ein Fenster zu öffnen. Der Eine aber, der hagere, ausgemergelte Luftfeind, erklärt mit verschämten Lächeln, er könne das nicht vertragen, es ziehe ihm so ... Was ist nun, den Regeln der conventionellen Rücksichtslosigkeit entsprechend, die Folge? Das Fenster bleibt zu! Die neunfache Majorität, die vielleicht ernstlich Gefahr läuft, wird von dem einem miasmafreundlichen Frostmenschen terrorisirt; denn sic volo,

auf die Nerven fällt, wenn wir einmal in concreto darunter zu leiden haben.

Nehmen wir an, es befinden sich in einem gegebenen Raum zehn Personen, von denen eine zum Schnupfen neigt oder nur eine gewisse Antipathie gegen die atmosphärische Luft besitzt, während die übrigen neun von apoplektischer Anlage, vollblütig, zum Schwindel geneigt, von Congestionen bedroht und ausgesprochene Freunde eines ozonreichen Mediums sind. In dem Raum, wo gleichzeitig ein halbes Dutzend Gasflammen brennt und ein coaksüberfüllter Ofen seine ausdörrenden Gluten verströmt, brütet eine Temperatur von zwanzig Grad Réaumur. Die Luft ist nicht nur durch die Exhalationen von zehn menschlichen Lungen, sondern auch durch die mannigfach untereinander gequirlten Düfte eines ausgewählten Menue’s – Seezunge, Hummersalat, Wildpret, Plumpudding, Fromage de Brie und sonstige Delikatessen – bis zur Unerträglichkeit überladen. Die neun Apoplektiker sitzen mit schweißüberperlten Stirnen keuchend und fauchend vor den Champagnergläsern und schreien nach Kühlung wie der Hirsch nach dem Wasser. Zwei oder drei sind nahezu blaurot; sie haben schon aufgehört, ihren Sekt zu schlürfen, weil ihnen zu Mut ist, als müßten sie in der nächsten Sekunde vor Hitze aus ihrer gepeinigten Haut fahren. Neun schmachtende Männerseelen sind Eins in dem schönen Gedanken, ein Fenster zu öffnen. Der Eine aber, der hagere, ausgemergelte Luftfeind, erklärt mit verschämten Lächeln, er könne das nicht vertragen, es ziehe ihm so … Was ist nun, den Regeln der conventionellen Rücksichtslosigkeit entsprechend, die Folge? Das Fenster bleibt zu! Die neunfache Majorität, die vielleicht ernstlich Gefahr läuft, wird von dem einem miasmafreundlichen Frostmenschen terrorisirt; denn sic volo,

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[7/0009] auf die Nerven fällt, wenn wir einmal in concreto darunter zu leiden haben. Nehmen wir an, es befinden sich in einem gegebenen Raum zehn Personen, von denen eine zum Schnupfen neigt oder nur eine gewisse Antipathie gegen die atmosphärische Luft besitzt, während die übrigen neun von apoplektischer Anlage, vollblütig, zum Schwindel geneigt, von Congestionen bedroht und ausgesprochene Freunde eines ozonreichen Mediums sind. In dem Raum, wo gleichzeitig ein halbes Dutzend Gasflammen brennt und ein coaksüberfüllter Ofen seine ausdörrenden Gluten verströmt, brütet eine Temperatur von zwanzig Grad Réaumur. Die Luft ist nicht nur durch die Exhalationen von zehn menschlichen Lungen, sondern auch durch die mannigfach untereinander gequirlten Düfte eines ausgewählten Menue’s – Seezunge, Hummersalat, Wildpret, Plumpudding, Fromage de Brie und sonstige Delikatessen – bis zur Unerträglichkeit überladen. Die neun Apoplektiker sitzen mit schweißüberperlten Stirnen keuchend und fauchend vor den Champagnergläsern und schreien nach Kühlung wie der Hirsch nach dem Wasser. Zwei oder drei sind nahezu blaurot; sie haben schon aufgehört, ihren Sekt zu schlürfen, weil ihnen zu Mut ist, als müßten sie in der nächsten Sekunde vor Hitze aus ihrer gepeinigten Haut fahren. Neun schmachtende Männerseelen sind Eins in dem schönen Gedanken, ein Fenster zu öffnen. Der Eine aber, der hagere, ausgemergelte Luftfeind, erklärt mit verschämten Lächeln, er könne das nicht vertragen, es ziehe ihm so … Was ist nun, den Regeln der conventionellen Rücksichtslosigkeit entsprechend, die Folge? Das Fenster bleibt zu! Die neunfache Majorität, die vielleicht ernstlich Gefahr läuft, wird von dem einem miasmafreundlichen Frostmenschen terrorisirt; denn sic volo,

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Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/9>, abgerufen am 24.11.2024.