Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893.

Bild:
<< vorherige Seite

blieben. Draußen strömte die Frühlingssonne ihr flüssiges Gold über Thäler und Hügel aus: ich mußte mich abquälen, mein Gemüt zu betäuben und meine Finger nach Möglichkeit zur Maschine zu machen. Und wie mir das jetzt in meiner Haft einfiel, da überkam mich ein himmlisches Wohlbehagen. So langweilig, so geistmordend wie diese Klavierstunden war die starre Beschaulichkeit im Kerkerstübchen des Herrn Alkalden noch lange nicht!"

Unser Tourist sagt hier in etwas hyperbolischer Form, was Tausende von musikalisch talentlosen Schülern tausend und abertausend Mal schon gefühlt und gedacht haben. Es gibt nichts Grausenhafteres für ein empfängliches Kindergemüth als die Zwangsdressur für eine Fertigkeit, zu der die specifischen Anlagen nicht vorhanden sind. Der Klavier-Unterricht wird heutzutage als obligatorisch betrachtet. Es kommt vor, daß eine junge Dame höchst mangelhafte französische Kenntnisse hat; es kommt vor, daß die deutsche Litteratur ihr ein sinnloses Sammelsurium von Zahlen und Namen ist: aber daß ihr Unterrichtsconto nicht mit einer recht stattlichen Summe für erlittene Pianoforte-Lektionen belastet wäre, daß sie nicht par ordre de Mufti zahllose Stunden hindurch Tasten gehämmert und Tonleitern abgepeitscht hätte, das kommt in der guten Gesellschaft beinahe nicht vor. Und doch, welch' ein Widersinn, welch' ein unhaltbarer Mißverstand!

Was jedes normal beanlagte Kind lernen sollte, da es zur allgemeinen Bildung gehört, das ist Kenntniß der Noten, Kenntniß der Tonarten und der Tongeschlechter, Kenntniß vom Wesen der einzelnen Toukunstformen, kurz, die musiktheoretischen Elemente, denen bis zu einem gewissen Grad praktische Ausführungen und Erläuterungen parallel gehen

blieben. Draußen strömte die Frühlingssonne ihr flüssiges Gold über Thäler und Hügel aus: ich mußte mich abquälen, mein Gemüt zu betäuben und meine Finger nach Möglichkeit zur Maschine zu machen. Und wie mir das jetzt in meiner Haft einfiel, da überkam mich ein himmlisches Wohlbehagen. So langweilig, so geistmordend wie diese Klavierstunden war die starre Beschaulichkeit im Kerkerstübchen des Herrn Alkalden noch lange nicht!“

Unser Tourist sagt hier in etwas hyperbolischer Form, was Tausende von musikalisch talentlosen Schülern tausend und abertausend Mal schon gefühlt und gedacht haben. Es gibt nichts Grausenhafteres für ein empfängliches Kindergemüth als die Zwangsdressur für eine Fertigkeit, zu der die specifischen Anlagen nicht vorhanden sind. Der Klavier-Unterricht wird heutzutage als obligatorisch betrachtet. Es kommt vor, daß eine junge Dame höchst mangelhafte französische Kenntnisse hat; es kommt vor, daß die deutsche Litteratur ihr ein sinnloses Sammelsurium von Zahlen und Namen ist: aber daß ihr Unterrichtsconto nicht mit einer recht stattlichen Summe für erlittene Pianoforte-Lektionen belastet wäre, daß sie nicht par ordre de Mufti zahllose Stunden hindurch Tasten gehämmert und Tonleitern abgepeitscht hätte, das kommt in der guten Gesellschaft beinahe nicht vor. Und doch, welch’ ein Widersinn, welch’ ein unhaltbarer Mißverstand!

Was jedes normal beanlagte Kind lernen sollte, da es zur allgemeinen Bildung gehört, das ist Kenntniß der Noten, Kenntniß der Tonarten und der Tongeschlechter, Kenntniß vom Wesen der einzelnen Toukunstformen, kurz, die musiktheoretischen Elemente, denen bis zu einem gewissen Grad praktische Ausführungen und Erläuterungen parallel gehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="53"/>
blieben. Draußen strömte die Frühlingssonne ihr flüssiges Gold über Thäler und Hügel aus: ich mußte mich abquälen, mein Gemüt zu betäuben und meine Finger nach Möglichkeit zur Maschine zu machen. Und wie mir das jetzt in meiner Haft einfiel, da überkam mich ein himmlisches Wohlbehagen. So langweilig, so geistmordend wie diese Klavierstunden war die starre Beschaulichkeit im Kerkerstübchen des Herrn Alkalden noch lange nicht!&#x201C;</p>
        <p>Unser Tourist sagt hier in etwas hyperbolischer Form, was Tausende von musikalisch talentlosen Schülern tausend und abertausend Mal schon gefühlt und gedacht haben. Es gibt nichts Grausenhafteres für ein empfängliches Kindergemüth als die Zwangsdressur für eine Fertigkeit, zu der die specifischen Anlagen nicht vorhanden sind. Der Klavier-Unterricht wird heutzutage als obligatorisch betrachtet. Es kommt vor, daß eine junge Dame höchst mangelhafte französische Kenntnisse hat; es kommt vor, daß die deutsche Litteratur ihr ein sinnloses Sammelsurium von Zahlen und Namen ist: aber daß ihr Unterrichtsconto nicht mit einer recht stattlichen Summe für erlittene Pianoforte-Lektionen belastet wäre, daß sie nicht <hi rendition="#aq">par ordre de Mufti</hi> zahllose Stunden hindurch Tasten gehämmert und Tonleitern abgepeitscht hätte, das kommt in der guten Gesellschaft beinahe nicht vor. Und doch, welch&#x2019; ein Widersinn, welch&#x2019; ein unhaltbarer Mißverstand!</p>
        <p>Was jedes normal beanlagte Kind lernen sollte, da es zur allgemeinen Bildung gehört, das ist Kenntniß der Noten, Kenntniß der Tonarten und der Tongeschlechter, Kenntniß vom Wesen der einzelnen Toukunstformen, kurz, die musiktheoretischen Elemente, denen bis zu einem gewissen Grad praktische Ausführungen und Erläuterungen parallel gehen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0055] blieben. Draußen strömte die Frühlingssonne ihr flüssiges Gold über Thäler und Hügel aus: ich mußte mich abquälen, mein Gemüt zu betäuben und meine Finger nach Möglichkeit zur Maschine zu machen. Und wie mir das jetzt in meiner Haft einfiel, da überkam mich ein himmlisches Wohlbehagen. So langweilig, so geistmordend wie diese Klavierstunden war die starre Beschaulichkeit im Kerkerstübchen des Herrn Alkalden noch lange nicht!“ Unser Tourist sagt hier in etwas hyperbolischer Form, was Tausende von musikalisch talentlosen Schülern tausend und abertausend Mal schon gefühlt und gedacht haben. Es gibt nichts Grausenhafteres für ein empfängliches Kindergemüth als die Zwangsdressur für eine Fertigkeit, zu der die specifischen Anlagen nicht vorhanden sind. Der Klavier-Unterricht wird heutzutage als obligatorisch betrachtet. Es kommt vor, daß eine junge Dame höchst mangelhafte französische Kenntnisse hat; es kommt vor, daß die deutsche Litteratur ihr ein sinnloses Sammelsurium von Zahlen und Namen ist: aber daß ihr Unterrichtsconto nicht mit einer recht stattlichen Summe für erlittene Pianoforte-Lektionen belastet wäre, daß sie nicht par ordre de Mufti zahllose Stunden hindurch Tasten gehämmert und Tonleitern abgepeitscht hätte, das kommt in der guten Gesellschaft beinahe nicht vor. Und doch, welch’ ein Widersinn, welch’ ein unhaltbarer Mißverstand! Was jedes normal beanlagte Kind lernen sollte, da es zur allgemeinen Bildung gehört, das ist Kenntniß der Noten, Kenntniß der Tonarten und der Tongeschlechter, Kenntniß vom Wesen der einzelnen Toukunstformen, kurz, die musiktheoretischen Elemente, denen bis zu einem gewissen Grad praktische Ausführungen und Erläuterungen parallel gehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T11:47:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T11:47:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T11:47:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/55
Zitationshilfe: [Eckstein, Ernst:] Dudler und Dulder. Studien über die Anmaßungen der Tonkunst. Leipzig, 1893, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckstein_dudler_1893/55>, abgerufen am 24.11.2024.