fassen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade dieses Gebäude, an das sich für Weimar so viele Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit knüpften, rettungslos verloren zu sehen.
Ich sah in schönen Augen viele Thränen, die seinem Untergange flossen. Nicht weniger rührte mich ein Mitglied der Capelle. Er weinte um seine verbrannte Geige.
Als der Tag anbrach, sah ich viele bleiche Gesichter. Ich bemerkte verschiedene junge Mädchen und Frauen der höheren Stände, die den Verlauf des Brandes die ganze Nacht abgewartet hatten und nun in der kalten Morgenluft einiges Frösteln verspürten. Ich ging nach Hause, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des Vormittags zu Goethe.
Der Bediente sagte mir, er sey unwohl und im Bette. Doch ließ Goethe mich in seine Nähe rufen. Er streckte mir seine Hand entgegen. "Wir haben Alle verloren, sagte er, allein was ist zu thun! Mein Wölfchen kam diesen Morgen früh an mein Bette. Er faßte meine Hand, und indem er mich mit großen Augen ansah, sagte er: So geht's den Menschen! Was läßt sich weiter sagen, als dieses Wort meines lieben Wolf, womit er mich zu trösten suchte. Der Schauplatz meiner fast dreißigjährigen liebevollen Mühe liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf sagt: So geht's den Menschen! Ich habe die ganze
faſſen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade dieſes Gebäude, an das ſich für Weimar ſo viele Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit knüpften, rettungslos verloren zu ſehen.
Ich ſah in ſchönen Augen viele Thränen, die ſeinem Untergange floſſen. Nicht weniger rührte mich ein Mitglied der Capelle. Er weinte um ſeine verbrannte Geige.
Als der Tag anbrach, ſah ich viele bleiche Geſichter. Ich bemerkte verſchiedene junge Mädchen und Frauen der höheren Stände, die den Verlauf des Brandes die ganze Nacht abgewartet hatten und nun in der kalten Morgenluft einiges Fröſteln verſpürten. Ich ging nach Hauſe, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des Vormittags zu Goethe.
Der Bediente ſagte mir, er ſey unwohl und im Bette. Doch ließ Goethe mich in ſeine Nähe rufen. Er ſtreckte mir ſeine Hand entgegen. „Wir haben Alle verloren, ſagte er, allein was iſt zu thun! Mein Wölfchen kam dieſen Morgen früh an mein Bette. Er faßte meine Hand, und indem er mich mit großen Augen anſah, ſagte er: So geht's den Menſchen! Was läßt ſich weiter ſagen, als dieſes Wort meines lieben Wolf, womit er mich zu tröſten ſuchte. Der Schauplatz meiner faſt dreißigjährigen liebevollen Mühe liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf ſagt: So geht's den Menſchen! Ich habe die ganze
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faſſen. Allein immerhin war es zu bedauern, gerade
dieſes Gebäude, an das ſich für Weimar ſo viele
Erinnerungen einer großen und lieben Vergangenheit
knüpften, rettungslos verloren zu ſehen.
Ich ſah in ſchönen Augen viele Thränen, die ſeinem
Untergange floſſen. Nicht weniger rührte mich ein
Mitglied der Capelle. Er weinte um ſeine verbrannte
Geige.
Als der Tag anbrach, ſah ich viele bleiche Geſichter.
Ich bemerkte verſchiedene junge Mädchen und Frauen
der höheren Stände, die den Verlauf des Brandes die
ganze Nacht abgewartet hatten und nun in der kalten
Morgenluft einiges Fröſteln verſpürten. Ich ging nach
Hauſe, um ein wenig zu ruhen, dann im Laufe des
Vormittags zu Goethe.
Der Bediente ſagte mir, er ſey unwohl und im
Bette. Doch ließ Goethe mich in ſeine Nähe rufen.
Er ſtreckte mir ſeine Hand entgegen. „Wir haben Alle
verloren, ſagte er, allein was iſt zu thun! Mein
Wölfchen kam dieſen Morgen früh an mein Bette.
Er faßte meine Hand, und indem er mich mit großen
Augen anſah, ſagte er: So geht's den Menſchen!
Was läßt ſich weiter ſagen, als dieſes Wort meines
lieben Wolf, womit er mich zu tröſten ſuchte. Der
Schauplatz meiner faſt dreißigjährigen liebevollen Mühe
liegt in Schutt und Trümmer. Allein, wie Wolf
ſagt: So geht's den Menſchen! Ich habe die ganze
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/83>, abgerufen am 23.11.2024.
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