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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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gossen. Allein es war Alles ohne Erfolg. Die Flamme
ras'te nach wie vor aufwärts und trieb unerschöpflich
eine Masse glühender Funken und brennende Stücke
leichter Stoffe gegen den dunkelen Himmel, die sodann
mit geringem Lufthauche seitwärts über die Stadt
zogen. Der Lärm und das Rufen und Schreien der
an den Feuerleitern und Spritzen arbeitenden Menschen¬
masse war groß. Alle Kräfte waren in Aufregung,
man schien mit Gewalt siegen zu wollen. Ein wenig
seitwärts, so nahe die Gluth es erlaubte, stand ein
Mann im Mantel und Militair-Mütze, in der ruhigsten
Fassung eine Cigarre rauchend. Er schien beim ersten
Anblick ein müßiger Zuschauer zu seyn; allein er war
es nicht. Personen gingen von ihm aus, denen er
mit wenigen Worten Befehle ertheilte, die sogleich
vollzogen wurden. Es war der Großherzog Carl
August. Er hatte bald gesehen, daß das Gebäude
selbst nicht zu retten war; er befahl daher, es in sich
zusammenzustürzen und alle nur entbehrlichen Spritzen
gegen die Nachbarhäuser zu wenden, die von der nahen
Gluth sehr zu leiden hatten. Er schien in fürstlicher
Resignation zu denken:

"Das brenne nieder! --
Schöner bau't sich's wieder auf."

Er hatte nicht Unrecht. Das Theater war alt,
keineswegs schön, und lange nicht geräumig genug, um
ein sich mit jedem Jahre vergrößerndes Publicum zu

goſſen. Allein es war Alles ohne Erfolg. Die Flamme
raſ'te nach wie vor aufwärts und trieb unerſchöpflich
eine Maſſe glühender Funken und brennende Stücke
leichter Stoffe gegen den dunkelen Himmel, die ſodann
mit geringem Lufthauche ſeitwärts über die Stadt
zogen. Der Lärm und das Rufen und Schreien der
an den Feuerleitern und Spritzen arbeitenden Menſchen¬
maſſe war groß. Alle Kräfte waren in Aufregung,
man ſchien mit Gewalt ſiegen zu wollen. Ein wenig
ſeitwärts, ſo nahe die Gluth es erlaubte, ſtand ein
Mann im Mantel und Militair-Mütze, in der ruhigſten
Faſſung eine Cigarre rauchend. Er ſchien beim erſten
Anblick ein müßiger Zuſchauer zu ſeyn; allein er war
es nicht. Perſonen gingen von ihm aus, denen er
mit wenigen Worten Befehle ertheilte, die ſogleich
vollzogen wurden. Es war der Großherzog Carl
Auguſt. Er hatte bald geſehen, daß das Gebäude
ſelbſt nicht zu retten war; er befahl daher, es in ſich
zuſammenzuſtürzen und alle nur entbehrlichen Spritzen
gegen die Nachbarhäuſer zu wenden, die von der nahen
Gluth ſehr zu leiden hatten. Er ſchien in fürſtlicher
Reſignation zu denken:

„Das brenne nieder! —
Schöner bau't ſich's wieder auf.“

Er hatte nicht Unrecht. Das Theater war alt,
keineswegs ſchön, und lange nicht geräumig genug, um
ein ſich mit jedem Jahre vergrößerndes Publicum zu

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[60/0082] goſſen. Allein es war Alles ohne Erfolg. Die Flamme raſ'te nach wie vor aufwärts und trieb unerſchöpflich eine Maſſe glühender Funken und brennende Stücke leichter Stoffe gegen den dunkelen Himmel, die ſodann mit geringem Lufthauche ſeitwärts über die Stadt zogen. Der Lärm und das Rufen und Schreien der an den Feuerleitern und Spritzen arbeitenden Menſchen¬ maſſe war groß. Alle Kräfte waren in Aufregung, man ſchien mit Gewalt ſiegen zu wollen. Ein wenig ſeitwärts, ſo nahe die Gluth es erlaubte, ſtand ein Mann im Mantel und Militair-Mütze, in der ruhigſten Faſſung eine Cigarre rauchend. Er ſchien beim erſten Anblick ein müßiger Zuſchauer zu ſeyn; allein er war es nicht. Perſonen gingen von ihm aus, denen er mit wenigen Worten Befehle ertheilte, die ſogleich vollzogen wurden. Es war der Großherzog Carl Auguſt. Er hatte bald geſehen, daß das Gebäude ſelbſt nicht zu retten war; er befahl daher, es in ſich zuſammenzuſtürzen und alle nur entbehrlichen Spritzen gegen die Nachbarhäuſer zu wenden, die von der nahen Gluth ſehr zu leiden hatten. Er ſchien in fürſtlicher Reſignation zu denken: „Das brenne nieder! — Schöner bau't ſich's wieder auf.“ Er hatte nicht Unrecht. Das Theater war alt, keineswegs ſchön, und lange nicht geräumig genug, um ein ſich mit jedem Jahre vergrößerndes Publicum zu

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/82>, abgerufen am 23.11.2024.