den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenso sichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬ wesen verunstalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des Bestehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen, daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müsse und daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaften so fortgehen und bleiben könne."
Mittwoch, den 5. Mai 1824.
Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauspielern Wolf und Grüner ge¬ macht, haben mich diese Tage lebhaft beschäftigt und es ist mir gelungen, diese höchst zerstückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, so daß daraus etwas entstanden ist, das wohl für den Anfang eines Catechis¬ mus für Schauspieler gelten könnte.
Ich sprach heute mit Goethe über diese Arbeit und wir gingen die einzelnen Gegenstände durch. Besonders wichtig wollte uns erscheinen, was über die Aussprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.
"Ich habe in meiner langen Praxis, sagte Goethe, Anfänger aus allen Gegenden Deutschlands kennen gelernt. Die Aussprache der Norddeutschen ließ im Ganzen wenig zu wünschen übrig. Sie ist rein und kann in mancher Hinsicht als musterhaft gelten. Da¬ gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oestreichern
den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬ weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen, daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.“
Mittwoch, den 5. Mai 1824.
Die Papiere, welche die Studien enthalten, die Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬ macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬ mus für Schauſpieler gelten könnte.
Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.
„Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe, Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬ gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0068"n="46"/>
den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar<lb/>
mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬<lb/>
weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide<lb/>
genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des<lb/>
Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen,<lb/>
daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und<lb/>
daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und<lb/>
Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Mittwoch, den 5. Mai 1824.<lb/></dateline><p>Die Papiere, welche die Studien enthalten, die<lb/>
Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬<lb/>
macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und<lb/>
es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen<lb/>
in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas<lb/>
entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬<lb/>
mus für Schauſpieler gelten könnte.</p><lb/><p>Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und<lb/>
wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders<lb/>
wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache<lb/>
und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.</p><lb/><p>„Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe,<lb/>
Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen<lb/>
gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im<lb/>
Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und<lb/>
kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬<lb/>
gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[46/0068]
den Völkern ein Bedürfniß; er war ebenſo ſichtbar
mit Luthern, denn die Reinigung jener durch Pfaffen¬
weſen verunſtalteten Lehre war es nicht weniger. Beide
genannten großen Kräfte aber waren nicht Freunde des
Beſtehenden; vielmehr waren Beide lebhaft durchdrungen,
daß der alte Sauerteig ausgekehrt werden müſſe und
daß es nicht ferner im Unwahren, Ungerechten und
Mangelhaften ſo fortgehen und bleiben könne.“
Mittwoch, den 5. Mai 1824.
Die Papiere, welche die Studien enthalten, die
Goethe mit den Schauſpielern Wolf und Grüner ge¬
macht, haben mich dieſe Tage lebhaft beſchäftigt und
es iſt mir gelungen, dieſe höchſt zerſtückelten Notizen
in eine Art Form zu bringen, ſo daß daraus etwas
entſtanden iſt, das wohl für den Anfang eines Catechis¬
mus für Schauſpieler gelten könnte.
Ich ſprach heute mit Goethe über dieſe Arbeit und
wir gingen die einzelnen Gegenſtände durch. Beſonders
wichtig wollte uns erſcheinen, was über die Ausſprache
und Ablegung von Provinzialismen angedeutet worden.
„Ich habe in meiner langen Praxis, ſagte Goethe,
Anfänger aus allen Gegenden Deutſchlands kennen
gelernt. Die Ausſprache der Norddeutſchen ließ im
Ganzen wenig zu wünſchen übrig. Sie iſt rein und
kann in mancher Hinſicht als muſterhaft gelten. Da¬
gegen habe ich mit geborenen Schwaben, Oeſtreichern
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/68>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.