möchte. Wenn das Bestehende alles vortrefflich, gut und gerecht wäre, so hätte ich gar nichts dawider. Da aber neben vielem Guten zugleich viel Schlechtes, Un¬ gerechtes und Unvollkommenes besteht, so heißt ein Freund des Bestehenden oft nicht viel weniger als ein Freund des Veralteten und Schlechten."
"Die Zeit aber ist in ewigem Fortschreiten begriffen und die menschlichen Dinge haben alle funfzig Jahre eine andere Gestalt, so daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, schon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen ist."
"Und wiederum ist für eine Nation nur das gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allge¬ meinen Bedürfniß hervorgegangen, ohne Nachäffung einer anderen. Denn was dem einen Volk auf einer gewissen Altersstufe eine wohlthätige Nahrung seyn kann erweist sich vielleicht für ein anderes als ein Gift. Alle Versuche, irgend eine ausländische Neuerung einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern der eigenen Nation wurzelt, sind daher thöricht, und alle beabsichtigten Revolutionen solcher Art ohne Erfolg; denn sie sind ohne Gott, der sich von solchen Pfuschereien zurückhält. Ist aber ein wirkliches Bedürfniß zu einer großen Reform in einem Volke vorhanden, so ist Gott mit ihm und sie gelingt. Er war sichtbar mit Christus und seinen ersten Anhängern, denn die Erscheinung der neuen Lehre der Liebe war
möchte. Wenn das Beſtehende alles vortrefflich, gut und gerecht wäre, ſo hätte ich gar nichts dawider. Da aber neben vielem Guten zugleich viel Schlechtes, Un¬ gerechtes und Unvollkommenes beſteht, ſo heißt ein Freund des Beſtehenden oft nicht viel weniger als ein Freund des Veralteten und Schlechten.“
„Die Zeit aber iſt in ewigem Fortſchreiten begriffen und die menſchlichen Dinge haben alle funfzig Jahre eine andere Geſtalt, ſo daß eine Einrichtung, die im Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, ſchon im Jahre 1850 vielleicht ein Gebrechen iſt.“
„Und wiederum iſt für eine Nation nur das gut, was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allge¬ meinen Bedürfniß hervorgegangen, ohne Nachäffung einer anderen. Denn was dem einen Volk auf einer gewiſſen Altersſtufe eine wohlthätige Nahrung ſeyn kann erweiſt ſich vielleicht für ein anderes als ein Gift. Alle Verſuche, irgend eine ausländiſche Neuerung einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern der eigenen Nation wurzelt, ſind daher thöricht, und alle beabſichtigten Revolutionen ſolcher Art ohne Erfolg; denn ſie ſind ohne Gott, der ſich von ſolchen Pfuſchereien zurückhält. Iſt aber ein wirkliches Bedürfniß zu einer großen Reform in einem Volke vorhanden, ſo iſt Gott mit ihm und ſie gelingt. Er war ſichtbar mit Chriſtus und ſeinen erſten Anhängern, denn die Erſcheinung der neuen Lehre der Liebe war
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möchte. Wenn das Beſtehende alles vortrefflich, gut
und gerecht wäre, ſo hätte ich gar nichts dawider. Da
aber neben vielem Guten zugleich viel Schlechtes, Un¬
gerechtes und Unvollkommenes beſteht, ſo heißt ein
Freund des Beſtehenden oft nicht viel weniger als ein
Freund des Veralteten und Schlechten.“
„Die Zeit aber iſt in ewigem Fortſchreiten begriffen
und die menſchlichen Dinge haben alle funfzig Jahre
eine andere Geſtalt, ſo daß eine Einrichtung, die im
Jahre 1800 eine Vollkommenheit war, ſchon im Jahre
1850 vielleicht ein Gebrechen iſt.“
„Und wiederum iſt für eine Nation nur das gut,
was aus ihrem eigenen Kern und ihrem eigenen allge¬
meinen Bedürfniß hervorgegangen, ohne Nachäffung
einer anderen. Denn was dem einen Volk auf einer
gewiſſen Altersſtufe eine wohlthätige Nahrung ſeyn
kann erweiſt ſich vielleicht für ein anderes als ein Gift.
Alle Verſuche, irgend eine ausländiſche Neuerung
einzuführen, wozu das Bedürfniß nicht im tiefen Kern
der eigenen Nation wurzelt, ſind daher thöricht, und
alle beabſichtigten Revolutionen ſolcher Art ohne Erfolg;
denn ſie ſind ohne Gott, der ſich von ſolchen
Pfuſchereien zurückhält. Iſt aber ein wirkliches
Bedürfniß zu einer großen Reform in einem Volke
vorhanden, ſo iſt Gott mit ihm und ſie gelingt. Er
war ſichtbar mit Chriſtus und ſeinen erſten Anhängern,
denn die Erſcheinung der neuen Lehre der Liebe war
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/67>, abgerufen am 27.11.2024.
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