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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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mein politisches Glaubensbekenntniß jener Zeit ansehen.
Als Repräsentanten des Adels hatte ich die Gräfin
hingestellt und mit den Worten, die ich ihr in den Mund
gelegt, ausgesprochen, wie der Adel eigentlich denken
soll. Die Gräfin kommt so eben aus Paris zurück,
sie ist dort Zeuge der revolutionären Vorgänge gewesen
und hat daraus für sich selbst keine schlechte Lehre
gezogen. Sie hat sich überzeugt, daß das Volk wohl
zu drücken, aber nicht zu unterdrücken ist, und daß die
revolutionären Aufstände der unteren Klassen eine Folge
der Ungerechtigkeit der Großen sind. Jede Handlung,
die mir unbillig scheint, sagt sie, will ich künftig streng
vermeiden, auch werde ich über solche Handlungen Ande¬
rer, in der Gesellschaft und bei Hofe meine Meinung
laut sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr
schweigen, und wenn ich auch unter dem Namen einer
Demokratin verschrieen werden sollte."

"Ich dächte, fuhr Goethe fort, diese Gesinnung wäre
durchaus respectabel. Sie war damals die meinige und
ist es noch jetzt. Zum Lohne dafür aber belegte man
mich mit allerlei Titeln, die ich nicht wiederholen mag."

Man braucht nur den Egmont zu lesen, versetzte
ich, um zu erfahren, wie Sie denken. Ich kenne kein
deutsches Stück, wo der Freiheit des Volkes mehr das
Wort geredet würde, als in diesem.

"Man beliebt einmal, erwiederte Goethe, mich nicht
so sehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke

mein politiſches Glaubensbekenntniß jener Zeit anſehen.
Als Repräſentanten des Adels hatte ich die Gräfin
hingeſtellt und mit den Worten, die ich ihr in den Mund
gelegt, ausgeſprochen, wie der Adel eigentlich denken
ſoll. Die Gräfin kommt ſo eben aus Paris zurück,
ſie iſt dort Zeuge der revolutionären Vorgänge geweſen
und hat daraus für ſich ſelbſt keine ſchlechte Lehre
gezogen. Sie hat ſich überzeugt, daß das Volk wohl
zu drücken, aber nicht zu unterdrücken iſt, und daß die
revolutionären Aufſtände der unteren Klaſſen eine Folge
der Ungerechtigkeit der Großen ſind. Jede Handlung,
die mir unbillig ſcheint, ſagt ſie, will ich künftig ſtreng
vermeiden, auch werde ich über ſolche Handlungen Ande¬
rer, in der Geſellſchaft und bei Hofe meine Meinung
laut ſagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr
ſchweigen, und wenn ich auch unter dem Namen einer
Demokratin verſchrieen werden ſollte.“

„Ich dächte, fuhr Goethe fort, dieſe Geſinnung wäre
durchaus reſpectabel. Sie war damals die meinige und
iſt es noch jetzt. Zum Lohne dafür aber belegte man
mich mit allerlei Titeln, die ich nicht wiederholen mag.“

Man braucht nur den Egmont zu leſen, verſetzte
ich, um zu erfahren, wie Sie denken. Ich kenne kein
deutſches Stück, wo der Freiheit des Volkes mehr das
Wort geredet würde, als in dieſem.

„Man beliebt einmal, erwiederte Goethe, mich nicht
ſo ſehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke

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[43/0065] mein politiſches Glaubensbekenntniß jener Zeit anſehen. Als Repräſentanten des Adels hatte ich die Gräfin hingeſtellt und mit den Worten, die ich ihr in den Mund gelegt, ausgeſprochen, wie der Adel eigentlich denken ſoll. Die Gräfin kommt ſo eben aus Paris zurück, ſie iſt dort Zeuge der revolutionären Vorgänge geweſen und hat daraus für ſich ſelbſt keine ſchlechte Lehre gezogen. Sie hat ſich überzeugt, daß das Volk wohl zu drücken, aber nicht zu unterdrücken iſt, und daß die revolutionären Aufſtände der unteren Klaſſen eine Folge der Ungerechtigkeit der Großen ſind. Jede Handlung, die mir unbillig ſcheint, ſagt ſie, will ich künftig ſtreng vermeiden, auch werde ich über ſolche Handlungen Ande¬ rer, in der Geſellſchaft und bei Hofe meine Meinung laut ſagen. Zu keiner Ungerechtigkeit will ich mehr ſchweigen, und wenn ich auch unter dem Namen einer Demokratin verſchrieen werden ſollte.“ „Ich dächte, fuhr Goethe fort, dieſe Geſinnung wäre durchaus reſpectabel. Sie war damals die meinige und iſt es noch jetzt. Zum Lohne dafür aber belegte man mich mit allerlei Titeln, die ich nicht wiederholen mag.“ Man braucht nur den Egmont zu leſen, verſetzte ich, um zu erfahren, wie Sie denken. Ich kenne kein deutſches Stück, wo der Freiheit des Volkes mehr das Wort geredet würde, als in dieſem. „Man beliebt einmal, erwiederte Goethe, mich nicht ſo ſehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/65>, abgerufen am 23.11.2024.