und alle Wirkung liegt im Apercü. Es ist dabei wenig Allgemeines und Subjectives, sondern die einzelnen Manifestationen der Naturgesetze liegen alle sphynxartig, starr, fest und stumm außer uns da. Jedes wahr¬ genommene neue Phänomen ist eine Entdeckung, jede Entdeckung ein Eigenthum. Taste aber nur Einer das Eigenthum an, und der Mensch mit seinen Leidenschaften wird sogleich daseyn."
"Es wird aber, fuhr Goethe fort, in den Wissen¬ schaften auch zugleich dasjenige als Eigenthum angesehen, was man auf Academieen überliefert erhalten und gelernt hat. Kommt nun Einer, der etwas Neues bringt, das mit unserm Credo, das wir seit Jahren nachbeten und wiederum Anderen überliefern, in Widerspruch steht und es wohl gar zu stürzen droht, so regt man alle Leidenschaften gegen ihn auf und sucht ihn auf alle Weise zu unterdrücken. Man sträubt sich dagegen, wie man nur kann; man thut, als höre man nicht, als verstände man nicht; man spricht darüber mit Gering¬ schätzung, als wäre es gar nicht der Mühe werth es nur anzusehen und zu untersuchen; und so kann eine neue Wahrheit lange warten, bis sie sich Bahn macht. Ein Franzose sagte zu einem meiner Freunde in Bezug auf meine Farbenlehre: Wir haben funfzig Jahre lang gearbeitet, um das Reich Newton's zu gründen und zu befestigen; es werden andere funfzig Jahre nöthig seyn, um es zu stürzen."
und alle Wirkung liegt im Aperçü. Es iſt dabei wenig Allgemeines und Subjectives, ſondern die einzelnen Manifeſtationen der Naturgeſetze liegen alle ſphynxartig, ſtarr, feſt und ſtumm außer uns da. Jedes wahr¬ genommene neue Phänomen iſt eine Entdeckung, jede Entdeckung ein Eigenthum. Taſte aber nur Einer das Eigenthum an, und der Menſch mit ſeinen Leidenſchaften wird ſogleich daſeyn.“
„Es wird aber, fuhr Goethe fort, in den Wiſſen¬ ſchaften auch zugleich dasjenige als Eigenthum angeſehen, was man auf Academieen überliefert erhalten und gelernt hat. Kommt nun Einer, der etwas Neues bringt, das mit unſerm Credo, das wir ſeit Jahren nachbeten und wiederum Anderen überliefern, in Widerſpruch ſteht und es wohl gar zu ſtürzen droht, ſo regt man alle Leidenſchaften gegen ihn auf und ſucht ihn auf alle Weiſe zu unterdrücken. Man ſträubt ſich dagegen, wie man nur kann; man thut, als höre man nicht, als verſtände man nicht; man ſpricht darüber mit Gering¬ ſchätzung, als wäre es gar nicht der Mühe werth es nur anzuſehen und zu unterſuchen; und ſo kann eine neue Wahrheit lange warten, bis ſie ſich Bahn macht. Ein Franzoſe ſagte zu einem meiner Freunde in Bezug auf meine Farbenlehre: Wir haben funfzig Jahre lang gearbeitet, um das Reich Newton's zu gründen und zu befeſtigen; es werden andere funfzig Jahre nöthig ſeyn, um es zu ſtürzen.“
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und alle Wirkung liegt im Aperçü. Es iſt dabei wenig
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Manifeſtationen der Naturgeſetze liegen alle ſphynxartig,
ſtarr, feſt und ſtumm außer uns da. Jedes wahr¬
genommene neue Phänomen iſt eine Entdeckung, jede
Entdeckung ein Eigenthum. Taſte aber nur Einer das
Eigenthum an, und der Menſch mit ſeinen Leidenſchaften
wird ſogleich daſeyn.“
„Es wird aber, fuhr Goethe fort, in den Wiſſen¬
ſchaften auch zugleich dasjenige als Eigenthum angeſehen,
was man auf Academieen überliefert erhalten und
gelernt hat. Kommt nun Einer, der etwas Neues bringt,
das mit unſerm Credo, das wir ſeit Jahren nachbeten
und wiederum Anderen überliefern, in Widerſpruch ſteht
und es wohl gar zu ſtürzen droht, ſo regt man alle
Leidenſchaften gegen ihn auf und ſucht ihn auf alle
Weiſe zu unterdrücken. Man ſträubt ſich dagegen, wie
man nur kann; man thut, als höre man nicht, als
verſtände man nicht; man ſpricht darüber mit Gering¬
ſchätzung, als wäre es gar nicht der Mühe werth es
nur anzuſehen und zu unterſuchen; und ſo kann eine
neue Wahrheit lange warten, bis ſie ſich Bahn macht.
Ein Franzoſe ſagte zu einem meiner Freunde in Bezug
auf meine Farbenlehre: Wir haben funfzig Jahre lang
gearbeitet, um das Reich Newton's zu gründen und zu
befeſtigen; es werden andere funfzig Jahre nöthig ſeyn,
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/49>, abgerufen am 30.01.2025.
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