Menschen gemäß und erträglich wäre. Die Kirche aber tritt als wohlthätige Vermittlerin ein, um zu dämpfen und zu ermäßigen, damit Allen geholfen und damit Vielen wohl werde. Dadurch daß der christlichen Kirche der Glaube beiwohnt, daß sie, als Nachfolgerin Christi, von der Last menschlicher Sünde befreien könne, ist sie eine sehr große Macht. Und sich in dieser Macht und diesem Ansehen zu erhalten, und so das kirchliche Ge¬ bäude zu sichern, ist der christlichen Priesterschaft vor¬ zügliches Augenmerk."
"Sie hat daher weniger zu fragen, ob dieses oder jenes biblische Buch eine große Aufklärung des Gei¬ stes bewirke, und ob es Lehren hoher Sittlichkeit und edler Menschennatur enthalte, als daß sie vielmehr in den Büchern Mose auf die Geschichte des Sündenfalles und die Entstehung des Bedürfnisses nach dem Erlöser Bedeutung zu legen, ferner in den Propheten die wie¬ derholte Hinweisung auf Ihn, den Erwarteten, sowie in den Evangelien sein wirkliches irdisches Erscheinen und seinen Tod am Kreuze, als unserer menschlichen Sünden Sühnung, im Auge zu halten hat. Sie sehen also, daß für solche Zwecke und Richtungen und auf solcher Wage gewogen so wenig der edle Tobias, als die Weisheit Salomonis und die Sprüche Sirach's, einiges bedeutende Gewicht haben können."
"Uebrigens echt oder unecht sind bei Dingen der Bibel gar wunderliche Fragen. Was ist echt, als das
Menſchen gemäß und erträglich wäre. Die Kirche aber tritt als wohlthätige Vermittlerin ein, um zu dämpfen und zu ermäßigen, damit Allen geholfen und damit Vielen wohl werde. Dadurch daß der chriſtlichen Kirche der Glaube beiwohnt, daß ſie, als Nachfolgerin Chriſti, von der Laſt menſchlicher Sünde befreien könne, iſt ſie eine ſehr große Macht. Und ſich in dieſer Macht und dieſem Anſehen zu erhalten, und ſo das kirchliche Ge¬ bäude zu ſichern, iſt der chriſtlichen Prieſterſchaft vor¬ zügliches Augenmerk.“
„Sie hat daher weniger zu fragen, ob dieſes oder jenes bibliſche Buch eine große Aufklärung des Gei¬ ſtes bewirke, und ob es Lehren hoher Sittlichkeit und edler Menſchennatur enthalte, als daß ſie vielmehr in den Büchern Moſe auf die Geſchichte des Sündenfalles und die Entſtehung des Bedürfniſſes nach dem Erlöſer Bedeutung zu legen, ferner in den Propheten die wie¬ derholte Hinweiſung auf Ihn, den Erwarteten, ſowie in den Evangelien ſein wirkliches irdiſches Erſcheinen und ſeinen Tod am Kreuze, als unſerer menſchlichen Sünden Sühnung, im Auge zu halten hat. Sie ſehen alſo, daß für ſolche Zwecke und Richtungen und auf ſolcher Wage gewogen ſo wenig der edle Tobias, als die Weisheit Salomonis und die Sprüche Sirach's, einiges bedeutende Gewicht haben können.“
„Uebrigens echt oder unecht ſind bei Dingen der Bibel gar wunderliche Fragen. Was iſt echt, als das
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Menſchen gemäß und erträglich wäre. Die Kirche aber
tritt als wohlthätige Vermittlerin ein, um zu dämpfen
und zu ermäßigen, damit Allen geholfen und damit
Vielen wohl werde. Dadurch daß der chriſtlichen Kirche
der Glaube beiwohnt, daß ſie, als Nachfolgerin Chriſti,
von der Laſt menſchlicher Sünde befreien könne, iſt ſie
eine ſehr große Macht. Und ſich in dieſer Macht und
dieſem Anſehen zu erhalten, und ſo das kirchliche Ge¬
bäude zu ſichern, iſt der chriſtlichen Prieſterſchaft vor¬
zügliches Augenmerk.“
„Sie hat daher weniger zu fragen, ob dieſes oder
jenes bibliſche Buch eine große Aufklärung des Gei¬
ſtes bewirke, und ob es Lehren hoher Sittlichkeit und
edler Menſchennatur enthalte, als daß ſie vielmehr in
den Büchern Moſe auf die Geſchichte des Sündenfalles
und die Entſtehung des Bedürfniſſes nach dem Erlöſer
Bedeutung zu legen, ferner in den Propheten die wie¬
derholte Hinweiſung auf Ihn, den Erwarteten, ſowie
in den Evangelien ſein wirkliches irdiſches Erſcheinen
und ſeinen Tod am Kreuze, als unſerer menſchlichen
Sünden Sühnung, im Auge zu halten hat. Sie ſehen
alſo, daß für ſolche Zwecke und Richtungen und auf
ſolcher Wage gewogen ſo wenig der edle Tobias, als
die Weisheit Salomonis und die Sprüche Sirach's,
einiges bedeutende Gewicht haben können.“
„Uebrigens echt oder unecht ſind bei Dingen der
Bibel gar wunderliche Fragen. Was iſt echt, als das
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/392>, abgerufen am 22.12.2024.
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