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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

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"Ebenso ungehörig, fuhr Goethe fort, gebrauchen
die Franzosen, wenn sie von Erzeugnissen der Natur
reden, den Ausdruck Composition. Ich kann aber
wohl die einzelnen Theile einer stückweise gemachten
Maschine zusammensetzen und bei einem solchen Gegen¬
stande von Composition reden, aber nicht, wenn ich
die einzelnen lebendig sich bildenden und von einer ge¬
meinsamen Seele durchdrungenen Theile eines organi¬
schen Ganzen im Sinne habe."

Es will mir sogar scheinen, versetzte ich, als ob der
Ausdruck Composition auch bei echten Erzeugnissen
der Kunst und Poesie ungehörig und herabwürdigend
wäre.

"Es ist ein ganz niederträchtiges Wort, erwiederte
Goethe, das wir den Franzosen zu danken haben, und das
wir sobald wie möglich wieder loszuwerden suchen sollten.
Wie kann man sagen, Mozart habe seinen Don Juan
componirt! -- Composition! -- Als ob es ein
Stück Kuchen oder Biscuit wäre, das man aus Eiern,
Mehl und Zucker zusammenrührt! -- Eine geistige Schö¬
pfung ist es, das Einzelne wie das Ganze aus einem
Geiste und Guß und von dem Hauche eines Lebens
durchdrungen, wobei der Producirende keineswegs ver¬
suchte und stückelte und nach Willkür verfuhr, sondern wo¬
bei der dämonische Geist seines Genies ihn in der Gewalt
hatte, so daß er ausführen mußte, was jener gebot."


„Ebenſo ungehörig, fuhr Goethe fort, gebrauchen
die Franzoſen, wenn ſie von Erzeugniſſen der Natur
reden, den Ausdruck Compoſition. Ich kann aber
wohl die einzelnen Theile einer ſtückweiſe gemachten
Maſchine zuſammenſetzen und bei einem ſolchen Gegen¬
ſtande von Compoſition reden, aber nicht, wenn ich
die einzelnen lebendig ſich bildenden und von einer ge¬
meinſamen Seele durchdrungenen Theile eines organi¬
ſchen Ganzen im Sinne habe.“

Es will mir ſogar ſcheinen, verſetzte ich, als ob der
Ausdruck Compoſition auch bei echten Erzeugniſſen
der Kunſt und Poeſie ungehörig und herabwürdigend
wäre.

„Es iſt ein ganz niederträchtiges Wort, erwiederte
Goethe, das wir den Franzoſen zu danken haben, und das
wir ſobald wie möglich wieder loszuwerden ſuchen ſollten.
Wie kann man ſagen, Mozart habe ſeinen Don Juan
componirt! — Compoſition! — Als ob es ein
Stück Kuchen oder Biscuit wäre, das man aus Eiern,
Mehl und Zucker zuſammenrührt! — Eine geiſtige Schö¬
pfung iſt es, das Einzelne wie das Ganze aus einem
Geiſte und Guß und von dem Hauche eines Lebens
durchdrungen, wobei der Producirende keineswegs ver¬
ſuchte und ſtückelte und nach Willkür verfuhr, ſondern wo¬
bei der dämoniſche Geiſt ſeines Genies ihn in der Gewalt
hatte, ſo daß er ausführen mußte, was jener gebot.“


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[354/0376] „Ebenſo ungehörig, fuhr Goethe fort, gebrauchen die Franzoſen, wenn ſie von Erzeugniſſen der Natur reden, den Ausdruck Compoſition. Ich kann aber wohl die einzelnen Theile einer ſtückweiſe gemachten Maſchine zuſammenſetzen und bei einem ſolchen Gegen¬ ſtande von Compoſition reden, aber nicht, wenn ich die einzelnen lebendig ſich bildenden und von einer ge¬ meinſamen Seele durchdrungenen Theile eines organi¬ ſchen Ganzen im Sinne habe.“ Es will mir ſogar ſcheinen, verſetzte ich, als ob der Ausdruck Compoſition auch bei echten Erzeugniſſen der Kunſt und Poeſie ungehörig und herabwürdigend wäre. „Es iſt ein ganz niederträchtiges Wort, erwiederte Goethe, das wir den Franzoſen zu danken haben, und das wir ſobald wie möglich wieder loszuwerden ſuchen ſollten. Wie kann man ſagen, Mozart habe ſeinen Don Juan componirt! — Compoſition! — Als ob es ein Stück Kuchen oder Biscuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zuſammenrührt! — Eine geiſtige Schö¬ pfung iſt es, das Einzelne wie das Ganze aus einem Geiſte und Guß und von dem Hauche eines Lebens durchdrungen, wobei der Producirende keineswegs ver¬ ſuchte und ſtückelte und nach Willkür verfuhr, ſondern wo¬ bei der dämoniſche Geiſt ſeines Genies ihn in der Gewalt hatte, ſo daß er ausführen mußte, was jener gebot.“

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Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/376>, abgerufen am 30.11.2024.