zufrieden seyn. Unsere Sprache ist so außerordentlich reich, ausgebildet und fortbildungsfähig, daß, wenn wir auch mitunter zu einem Tropus unsere Zuflucht nehmen müssen, wir doch ziemlich nahe an das eigent¬ lich Auszusprechende herankommen. Die Franzosen aber stehen gegen uns sehr im Nachtheil. Bei ihnen wird der Ausdruck eines angeschauten höheren Natur¬ verhältnisses durch einen gewöhnlich aus der Technik hergenommenen Tropus sogleich materiell und gemein, so daß er der höheren Anschauung keineswegs mehr genügt.
"Wie sehr Sie Recht haben, fiel Goethe ein, ist mir noch neulich bei dem Streit zwischen Cüvier und Geoffroy de Saint-Hilaire vorgekommen. Geoffroy de Saint-Hilaire ist ein Mensch, der wirklich in das geistige Walten und Schaffen der Natur eine hohe Einsicht hat; allein seine französische Sprache, insofern er sich herkömm¬ licher Ausdrücke zu bedienen gezwungen ist, läßt ihn durchaus im Stich. Und zwar nicht bloß bei geheimni߬ voll-geistigen, sondern auch bei ganz sichtbaren, rein kör¬ perlichen Gegenständen und Verhältnissen. Will er die einzelnen Theile eines organischen Wesens ausdrücken, so hat er dafür kein anderes Wort, als Materialien, wodurch denn z. B. die Knochen, welche als gleichartige Theile das organische Ganze eines Armes bilden, mit den Steinen, Balken und Brettern, woraus man ein Haus macht, auf eine Stufe des Ausdrucks kommen."
III. 23
zufrieden ſeyn. Unſere Sprache iſt ſo außerordentlich reich, ausgebildet und fortbildungsfähig, daß, wenn wir auch mitunter zu einem Tropus unſere Zuflucht nehmen müſſen, wir doch ziemlich nahe an das eigent¬ lich Auszuſprechende herankommen. Die Franzoſen aber ſtehen gegen uns ſehr im Nachtheil. Bei ihnen wird der Ausdruck eines angeſchauten höheren Natur¬ verhältniſſes durch einen gewöhnlich aus der Technik hergenommenen Tropus ſogleich materiell und gemein, ſo daß er der höheren Anſchauung keineswegs mehr genügt.
„Wie ſehr Sie Recht haben, fiel Goethe ein, iſt mir noch neulich bei dem Streit zwiſchen Cüvier und Geoffroy de Saint-Hilaire vorgekommen. Geoffroy de Saint-Hilaire iſt ein Menſch, der wirklich in das geiſtige Walten und Schaffen der Natur eine hohe Einſicht hat; allein ſeine franzöſiſche Sprache, inſofern er ſich herkömm¬ licher Ausdrücke zu bedienen gezwungen iſt, läßt ihn durchaus im Stich. Und zwar nicht bloß bei geheimni߬ voll-geiſtigen, ſondern auch bei ganz ſichtbaren, rein kör¬ perlichen Gegenſtänden und Verhältniſſen. Will er die einzelnen Theile eines organiſchen Weſens ausdrücken, ſo hat er dafür kein anderes Wort, als Materialien, wodurch denn z. B. die Knochen, welche als gleichartige Theile das organiſche Ganze eines Armes bilden, mit den Steinen, Balken und Brettern, woraus man ein Haus macht, auf eine Stufe des Ausdrucks kommen.“
III. 23
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zufrieden ſeyn. Unſere Sprache iſt ſo außerordentlich
reich, ausgebildet und fortbildungsfähig, daß, wenn
wir auch mitunter zu einem Tropus unſere Zuflucht
nehmen müſſen, wir doch ziemlich nahe an das eigent¬
lich Auszuſprechende herankommen. Die Franzoſen
aber ſtehen gegen uns ſehr im Nachtheil. Bei ihnen
wird der Ausdruck eines angeſchauten höheren Natur¬
verhältniſſes durch einen gewöhnlich aus der Technik
hergenommenen Tropus ſogleich materiell und gemein,
ſo daß er der höheren Anſchauung keineswegs mehr
genügt.
„Wie ſehr Sie Recht haben, fiel Goethe ein, iſt
mir noch neulich bei dem Streit zwiſchen Cüvier und
Geoffroy de Saint-Hilaire vorgekommen. Geoffroy de
Saint-Hilaire iſt ein Menſch, der wirklich in das geiſtige
Walten und Schaffen der Natur eine hohe Einſicht hat;
allein ſeine franzöſiſche Sprache, inſofern er ſich herkömm¬
licher Ausdrücke zu bedienen gezwungen iſt, läßt ihn
durchaus im Stich. Und zwar nicht bloß bei geheimni߬
voll-geiſtigen, ſondern auch bei ganz ſichtbaren, rein kör¬
perlichen Gegenſtänden und Verhältniſſen. Will er die
einzelnen Theile eines organiſchen Weſens ausdrücken, ſo
hat er dafür kein anderes Wort, als Materialien,
wodurch denn z. B. die Knochen, welche als gleichartige
Theile das organiſche Ganze eines Armes bilden, mit
den Steinen, Balken und Brettern, woraus man ein
Haus macht, auf eine Stufe des Ausdrucks kommen.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/375>, abgerufen am 30.11.2024.
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