Vor Goethe's Fenster stand ein kleiner broncener Moses, eine Nachbildung des berühmten Originals von Michel Angelo. Die Arme erschienen mir im Ver¬ hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu stark, welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬ sprach.
"Aber die beiden schweren Tafeln mit den zehn Geboten! rief er lebhaft, -- glaubt Ihr denn, daß es eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr denn ferner, daß Moses, der eine Armee Juden zu commandiren und zu bändigen hatte, sich mit ganz ordinären Armen hätte begnügen können?"
Goethe lachte, indem er dieses sagte, so daß ich nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er sich mit der Vertheidigung seines Künstlers nur einen Spaß machte.
Montag, den 2. August 1830*.
Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬ tion gelangten heute nach Weimar und setzten Alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu Goethe. "Nun? rief er mir entgegen, was denken Sie von dieser großen Begebenheit? Der Vulkan ist zum Ausbruch gekommen; Alles steht in Flammen, und es ist nicht ferner eine Verhandlung bei geschlossenen Thüren!"
22*
Mittwoch, den 12. Mai 1830*.
Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬ hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark, welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬ ſprach.
„Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn Geboten! rief er lebhaft, — glaubt Ihr denn, daß es eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz ordinären Armen hätte begnügen können?“
Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen Spaß machte.
Montag, den 2. Auguſt 1830*.
Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬ tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu Goethe. „Nun? rief er mir entgegen, was denken Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen Thüren!“
22*
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0361"n="339"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Mittwoch, den 12. Mai 1830*.<lb/></dateline><p>Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener<lb/>
Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals<lb/>
von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬<lb/>
hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark,<lb/>
welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬<lb/>ſprach.</p><lb/><p>„Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn<lb/>
Geboten! rief er lebhaft, — glaubt Ihr denn, daß es<lb/>
eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr<lb/>
denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu<lb/>
commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz<lb/>
ordinären Armen hätte begnügen können?“</p><lb/><p>Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich<lb/>
nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er<lb/>ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen<lb/>
Spaß machte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Montag, den 2. Auguſt 1830*.<lb/></dateline><p>Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬<lb/>
tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in<lb/>
Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu<lb/>
Goethe. „Nun? rief er mir entgegen, was denken<lb/>
Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt<lb/>
zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und<lb/>
es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen<lb/>
Thüren!“<lb/></p><fwplace="bottom"type="sig">22*<lb/></fw></div></div></body></text></TEI>
[339/0361]
Mittwoch, den 12. Mai 1830*.
Vor Goethe's Fenſter ſtand ein kleiner broncener
Moſes, eine Nachbildung des berühmten Originals
von Michel Angelo. Die Arme erſchienen mir im Ver¬
hältniß zum übrigen Körper zu lang und zu ſtark,
welche meine Meinung ich gegen Goethe offen aus¬
ſprach.
„Aber die beiden ſchweren Tafeln mit den zehn
Geboten! rief er lebhaft, — glaubt Ihr denn, daß es
eine Kleinigkeit war, die zu tragen? Und glaubt Ihr
denn ferner, daß Moſes, der eine Armee Juden zu
commandiren und zu bändigen hatte, ſich mit ganz
ordinären Armen hätte begnügen können?“
Goethe lachte, indem er dieſes ſagte, ſo daß ich
nicht erfuhr, ob ich wirklich Unrecht hatte, oder ob er
ſich mit der Vertheidigung ſeines Künſtlers nur einen
Spaß machte.
Montag, den 2. Auguſt 1830*.
Die Nachrichten von der begonnenen Juli-Revolu¬
tion gelangten heute nach Weimar und ſetzten Alles in
Aufregung. Ich ging im Laufe des Nachmittags zu
Goethe. „Nun? rief er mir entgegen, was denken
Sie von dieſer großen Begebenheit? Der Vulkan iſt
zum Ausbruch gekommen; Alles ſteht in Flammen, und
es iſt nicht ferner eine Verhandlung bei geſchloſſenen
Thüren!“
22*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/361>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.