zu führen." Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: "Das weiß ich längst; aber diese Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!"
Goethe saß aufrecht in seinem Bette, der offenen Thür seines Arbeitzimmers gegenüber, wo seine näheren Freunde versammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge erschienen mir wenig verändert, seine Stimme war rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. "Ihr scheint zu glauben, sagte er zu seinen Kindern, daß ich besser bin; aber Ihr betrügt Euch." Man suchte ihm jedoch seine Appre¬ hensionen scherzend auszureden, welches er sich denn auch gefallen zu lassen schien. Es waren indeß immer noch mehr Personen in das Zimmer hereingetreten, welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die Gegenwart so vieler Menschen unnöthigerweise die Luft verschlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege war. Ich konnte nicht unterlassen, mich darüber auszu¬ sprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von wo aus ich meine Bülletins der Kaiserlichen Hoheit zuschickte.
Mittwoch, den 25. Februar 1823*.
Goethe hat sich Rechenschaft ablegen lassen über das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet; auch hat er die Listen der Personen gelesen, die sich bisher nach seinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich
zu führen.“ Goethe, der es gehört, rief darauf mit großer Heiterkeit: „Das weiß ich längſt; aber dieſe Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!“
Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton, wie der eines Sterbenden. „Ihr ſcheint zu glauben, ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr betrügt Euch.“ Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬ henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten, welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬ ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit zuſchickte.
Mittwoch, den 25. Februar 1823*.
Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet; auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0035"n="13"/>
zu führen.“ Goethe, der es gehört, rief darauf mit<lb/>
großer Heiterkeit: „Das weiß ich längſt; aber dieſe<lb/>
Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!“</p><lb/><p>Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen<lb/>
Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren<lb/>
Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine<lb/>
Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war<lb/>
rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton,<lb/>
wie der eines Sterbenden. „Ihr ſcheint zu glauben,<lb/>ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr<lb/>
betrügt Euch.“ Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬<lb/>
henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn<lb/>
auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer<lb/>
noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten,<lb/>
welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die<lb/>
Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft<lb/>
verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege<lb/>
war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬<lb/>ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von<lb/>
wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit<lb/>
zuſchickte.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="4"><datelinerendition="#right">Mittwoch, den 25. Februar 1823*.<lb/></dateline><p>Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über<lb/>
das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet;<lb/>
auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher<lb/>
nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[13/0035]
zu führen.“ Goethe, der es gehört, rief darauf mit
großer Heiterkeit: „Das weiß ich längſt; aber dieſe
Wahrheit paßt nicht auf Euch, Ihr Schelm!“
Goethe ſaß aufrecht in ſeinem Bette, der offenen
Thür ſeines Arbeitzimmers gegenüber, wo ſeine näheren
Freunde verſammelt waren, ohne daß er es wußte. Seine
Züge erſchienen mir wenig verändert, ſeine Stimme war
rein und deutlich; doch war darin ein feierlicher Ton,
wie der eines Sterbenden. „Ihr ſcheint zu glauben,
ſagte er zu ſeinen Kindern, daß ich beſſer bin; aber Ihr
betrügt Euch.“ Man ſuchte ihm jedoch ſeine Appre¬
henſionen ſcherzend auszureden, welches er ſich denn
auch gefallen zu laſſen ſchien. Es waren indeß immer
noch mehr Perſonen in das Zimmer hereingetreten,
welches ich keineswegs für gut finden konnte, indem die
Gegenwart ſo vieler Menſchen unnöthigerweiſe die Luft
verſchlechterte und der Bedienung des Kranken im Wege
war. Ich konnte nicht unterlaſſen, mich darüber auszu¬
ſprechen, und ging hinab in das untere Zimmer, von
wo aus ich meine Bülletins der Kaiſerlichen Hoheit
zuſchickte.
Mittwoch, den 25. Februar 1823*.
Goethe hat ſich Rechenſchaft ablegen laſſen über
das Verfahren, das man bisher mit ihm beobachtet;
auch hat er die Liſten der Perſonen geleſen, die ſich bisher
nach ſeinem Befinden erkundiget und deren Zahl täglich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/35>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.