Bei dieser Gelegenheit erzählte er mir abermals mit vielem Selbstbehagen und guter Laune die Geschichte seiner gewaltsamen Besitzergreifung eines an die Biblio¬ thek grenzenden Saales, den die medicinische Facultät inne gehabt, aber nicht habe hergeben wollen.
"Die Bibliothek, sagte er, befand sich in einem sehr schlechten Zustande. Das Local war feucht und enge, und bei weitem nicht geeignet, seine Schätze gehöriger Weise zu fassen, besonders seit durch den Ankauf der Büttnerschen Bibliothek von Seiten des Großherzogs abermals 13000 Bände hinzugekommen waren, die in großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie gesagt, an Raum fehlte, sie gehörig zu placiren. Ich war wirklich dieserhalb in einiger Noth. Man hätte zu einem neuen Anbau schreiten müssen; allein dazu fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der leer stand und ganz geeignet war, allen unsern Bedürf¬ nissen auf das Herrlichste abzuhelfen. Allein dieser Saal war nicht im Besitz der Bibliothek, sondern im Gebrauch der Facultät der Mediciner, die ihn mitunter zu ihren Conferenzen benutzten. Ich wendete mich also an diese Herren mit der sehr höflichen Bitte: mir diesen Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber woll¬ ten die Herren sich nicht verstehen. Allenfalls seyen sie geneigt, nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck
Bei dieſer Gelegenheit erzählte er mir abermals mit vielem Selbſtbehagen und guter Laune die Geſchichte ſeiner gewaltſamen Beſitzergreifung eines an die Biblio¬ thek grenzenden Saales, den die mediciniſche Facultät inne gehabt, aber nicht habe hergeben wollen.
„Die Bibliothek, ſagte er, befand ſich in einem ſehr ſchlechten Zuſtande. Das Local war feucht und enge, und bei weitem nicht geeignet, ſeine Schätze gehöriger Weiſe zu faſſen, beſonders ſeit durch den Ankauf der Büttnerſchen Bibliothek von Seiten des Großherzogs abermals 13000 Bände hinzugekommen waren, die in großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie geſagt, an Raum fehlte, ſie gehörig zu placiren. Ich war wirklich dieſerhalb in einiger Noth. Man hätte zu einem neuen Anbau ſchreiten müſſen; allein dazu fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der leer ſtand und ganz geeignet war, allen unſern Bedürf¬ niſſen auf das Herrlichſte abzuhelfen. Allein dieſer Saal war nicht im Beſitz der Bibliothek, ſondern im Gebrauch der Facultät der Mediciner, die ihn mitunter zu ihren Conferenzen benutzten. Ich wendete mich alſo an dieſe Herren mit der ſehr höflichen Bitte: mir dieſen Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber woll¬ ten die Herren ſich nicht verſtehen. Allenfalls ſeyen ſie geneigt, nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck
<TEI><text><body><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0339"n="317"/><p>Bei dieſer Gelegenheit erzählte er mir abermals mit<lb/>
vielem Selbſtbehagen und guter Laune die Geſchichte<lb/>ſeiner gewaltſamen Beſitzergreifung eines an die Biblio¬<lb/>
thek grenzenden Saales, den die mediciniſche Facultät<lb/>
inne gehabt, aber nicht habe hergeben wollen.</p><lb/><p>„Die Bibliothek, ſagte er, befand ſich in einem ſehr<lb/>ſchlechten Zuſtande. Das Local war feucht und enge,<lb/>
und bei weitem nicht geeignet, ſeine Schätze gehöriger<lb/>
Weiſe zu faſſen, beſonders ſeit durch den Ankauf der<lb/><hirendition="#g">Büttner</hi>ſchen Bibliothek von Seiten des Großherzogs<lb/>
abermals 13000 Bände hinzugekommen waren, die in<lb/>
großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie<lb/>
geſagt, an Raum fehlte, ſie gehörig zu placiren. Ich<lb/>
war wirklich dieſerhalb in einiger Noth. Man hätte<lb/>
zu einem neuen Anbau ſchreiten müſſen; allein dazu<lb/>
fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch<lb/>
recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die<lb/>
Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der<lb/>
leer ſtand und ganz geeignet war, allen unſern Bedürf¬<lb/>
niſſen auf das Herrlichſte abzuhelfen. Allein dieſer<lb/>
Saal war nicht im Beſitz der Bibliothek, ſondern im<lb/>
Gebrauch der Facultät der Mediciner, die ihn mitunter<lb/>
zu ihren Conferenzen benutzten. Ich wendete mich alſo<lb/>
an dieſe Herren mit der ſehr höflichen Bitte: mir dieſen<lb/>
Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber woll¬<lb/>
ten die Herren ſich nicht verſtehen. Allenfalls ſeyen<lb/>ſie geneigt, nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[317/0339]
Bei dieſer Gelegenheit erzählte er mir abermals mit
vielem Selbſtbehagen und guter Laune die Geſchichte
ſeiner gewaltſamen Beſitzergreifung eines an die Biblio¬
thek grenzenden Saales, den die mediciniſche Facultät
inne gehabt, aber nicht habe hergeben wollen.
„Die Bibliothek, ſagte er, befand ſich in einem ſehr
ſchlechten Zuſtande. Das Local war feucht und enge,
und bei weitem nicht geeignet, ſeine Schätze gehöriger
Weiſe zu faſſen, beſonders ſeit durch den Ankauf der
Büttnerſchen Bibliothek von Seiten des Großherzogs
abermals 13000 Bände hinzugekommen waren, die in
großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie
geſagt, an Raum fehlte, ſie gehörig zu placiren. Ich
war wirklich dieſerhalb in einiger Noth. Man hätte
zu einem neuen Anbau ſchreiten müſſen; allein dazu
fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch
recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die
Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der
leer ſtand und ganz geeignet war, allen unſern Bedürf¬
niſſen auf das Herrlichſte abzuhelfen. Allein dieſer
Saal war nicht im Beſitz der Bibliothek, ſondern im
Gebrauch der Facultät der Mediciner, die ihn mitunter
zu ihren Conferenzen benutzten. Ich wendete mich alſo
an dieſe Herren mit der ſehr höflichen Bitte: mir dieſen
Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber woll¬
ten die Herren ſich nicht verſtehen. Allenfalls ſeyen
ſie geneigt, nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/339>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.