habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬ schwinden; aber zuletzt wird der sehr große Vortheil bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen reicheren, verschiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben und man keinen Gegenstand der breitesten Welt und des mannigfaltigsten Lebens als unpoetisch mehr wird ausschließen. Ich vergleiche die jetzige literarische Epoche dem Zustande eines heftigen Fiebers, das zwar an sich nicht gut und wünschenswerth ist, aber eine bessere Gesundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬ tischen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬ thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald mit desto größerem Verlangen wieder hervorsuchen."
Es ist mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬ rimee, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die abscheulichen Gegenstände seiner Guzla gleichfalls jene ultra-romantische Bahn betreten hat.
"Merimee, erwiederte Goethe, hat diese Dinge ganz anders tractirt als seine Mitgesellen. Es fehlt freilich diesen Gedichten nicht an allerlei schauerlichen Motiven von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Gespenstern und Vampyren; allein alle diese Widerwärtigkeiten be¬ rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt sie vielmehr aus einer gewissen objectiven Ferne und gleich¬ sam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie
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habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬ ſchwinden; aber zuletzt wird der ſehr große Vortheil bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen reicheren, verſchiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben und man keinen Gegenſtand der breiteſten Welt und des mannigfaltigſten Lebens als unpoetiſch mehr wird ausſchließen. Ich vergleiche die jetzige literariſche Epoche dem Zuſtande eines heftigen Fiebers, das zwar an ſich nicht gut und wünſchenswerth iſt, aber eine beſſere Geſundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬ tiſchen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬ thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald mit deſto größerem Verlangen wieder hervorſuchen.“
Es iſt mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬ rimée, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die abſcheulichen Gegenſtände ſeiner Guzla gleichfalls jene ultra-romantiſche Bahn betreten hat.
„Merimée, erwiederte Goethe, hat dieſe Dinge ganz anders tractirt als ſeine Mitgeſellen. Es fehlt freilich dieſen Gedichten nicht an allerlei ſchauerlichen Motiven von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Geſpenſtern und Vampyren; allein alle dieſe Widerwärtigkeiten be¬ rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt ſie vielmehr aus einer gewiſſen objectiven Ferne und gleich¬ ſam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie
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[307/0329]
habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬
ſchwinden; aber zuletzt wird der ſehr große Vortheil
bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen
reicheren, verſchiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben
und man keinen Gegenſtand der breiteſten Welt und
des mannigfaltigſten Lebens als unpoetiſch mehr wird
ausſchließen. Ich vergleiche die jetzige literariſche Epoche
dem Zuſtande eines heftigen Fiebers, das zwar an ſich
nicht gut und wünſchenswerth iſt, aber eine beſſere
Geſundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich
Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬
tiſchen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬
thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das
augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald
mit deſto größerem Verlangen wieder hervorſuchen.“
Es iſt mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬
rimée, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die
abſcheulichen Gegenſtände ſeiner Guzla gleichfalls jene
ultra-romantiſche Bahn betreten hat.
„Merimée, erwiederte Goethe, hat dieſe Dinge ganz
anders tractirt als ſeine Mitgeſellen. Es fehlt freilich
dieſen Gedichten nicht an allerlei ſchauerlichen Motiven
von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Geſpenſtern
und Vampyren; allein alle dieſe Widerwärtigkeiten be¬
rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt ſie
vielmehr aus einer gewiſſen objectiven Ferne und gleich¬
ſam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/329>, abgerufen am 24.11.2024.
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