Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬
schwinden; aber zuletzt wird der sehr große Vortheil
bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen
reicheren, verschiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben
und man keinen Gegenstand der breitesten Welt und
des mannigfaltigsten Lebens als unpoetisch mehr wird
ausschließen. Ich vergleiche die jetzige literarische Epoche
dem Zustande eines heftigen Fiebers, das zwar an sich
nicht gut und wünschenswerth ist, aber eine bessere
Gesundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich
Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬
tischen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬
thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das
augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald
mit desto größerem Verlangen wieder hervorsuchen."

Es ist mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬
rimee, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die
abscheulichen Gegenstände seiner Guzla gleichfalls jene
ultra-romantische Bahn betreten hat.

"Merimee, erwiederte Goethe, hat diese Dinge ganz
anders tractirt als seine Mitgesellen. Es fehlt freilich
diesen Gedichten nicht an allerlei schauerlichen Motiven
von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Gespenstern
und Vampyren; allein alle diese Widerwärtigkeiten be¬
rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt sie
vielmehr aus einer gewissen objectiven Ferne und gleich¬
sam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie

20*

habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬
ſchwinden; aber zuletzt wird der ſehr große Vortheil
bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen
reicheren, verſchiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben
und man keinen Gegenſtand der breiteſten Welt und
des mannigfaltigſten Lebens als unpoetiſch mehr wird
ausſchließen. Ich vergleiche die jetzige literariſche Epoche
dem Zuſtande eines heftigen Fiebers, das zwar an ſich
nicht gut und wünſchenswerth iſt, aber eine beſſere
Geſundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich
Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬
tiſchen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬
thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das
augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald
mit deſto größerem Verlangen wieder hervorſuchen.“

Es iſt mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬
rimée, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die
abſcheulichen Gegenſtände ſeiner Guzla gleichfalls jene
ultra-romantiſche Bahn betreten hat.

„Merimée, erwiederte Goethe, hat dieſe Dinge ganz
anders tractirt als ſeine Mitgeſellen. Es fehlt freilich
dieſen Gedichten nicht an allerlei ſchauerlichen Motiven
von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Geſpenſtern
und Vampyren; allein alle dieſe Widerwärtigkeiten be¬
rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt ſie
vielmehr aus einer gewiſſen objectiven Ferne und gleich¬
ſam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <p><pb facs="#f0329" n="307"/>
habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬<lb/>
&#x017F;chwinden; aber zuletzt wird der &#x017F;ehr große Vortheil<lb/>
bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen<lb/>
reicheren, ver&#x017F;chiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben<lb/>
und man keinen Gegen&#x017F;tand der breite&#x017F;ten Welt und<lb/>
des mannigfaltig&#x017F;ten Lebens als unpoeti&#x017F;ch mehr wird<lb/>
aus&#x017F;chließen. Ich vergleiche die jetzige literari&#x017F;che Epoche<lb/>
dem Zu&#x017F;tande eines heftigen Fiebers, das zwar an &#x017F;ich<lb/>
nicht gut und wün&#x017F;chenswerth i&#x017F;t, aber eine be&#x017F;&#x017F;ere<lb/>
Ge&#x017F;undheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich<lb/>
Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬<lb/>
ti&#x017F;chen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬<lb/>
thätiges <hi rendition="#g">Ingredienz</hi> eintreten; ja man wird das<lb/>
augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald<lb/>
mit de&#x017F;to größerem Verlangen wieder hervor&#x017F;uchen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬<lb/>
rim<hi rendition="#aq">é</hi>e, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die<lb/>
ab&#x017F;cheulichen Gegen&#x017F;tände &#x017F;einer <hi rendition="#g">Guzla</hi> gleichfalls jene<lb/>
ultra-romanti&#x017F;che Bahn betreten hat.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Merim<hi rendition="#aq">é</hi>e, erwiederte Goethe, hat die&#x017F;e Dinge ganz<lb/>
anders tractirt als &#x017F;eine Mitge&#x017F;ellen. Es fehlt freilich<lb/>
die&#x017F;en Gedichten nicht an allerlei &#x017F;chauerlichen Motiven<lb/>
von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Ge&#x017F;pen&#x017F;tern<lb/>
und Vampyren; allein alle die&#x017F;e Widerwärtigkeiten be¬<lb/>
rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt &#x017F;ie<lb/>
vielmehr aus einer gewi&#x017F;&#x017F;en objectiven Ferne und gleich¬<lb/>
&#x017F;am mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0329] habe, erwiederte Goethe, werden nach und nach ver¬ ſchwinden; aber zuletzt wird der ſehr große Vortheil bleiben, daß man neben einer freieren Form auch einen reicheren, verſchiedenartigeren Inhalt wird erreicht haben und man keinen Gegenſtand der breiteſten Welt und des mannigfaltigſten Lebens als unpoetiſch mehr wird ausſchließen. Ich vergleiche die jetzige literariſche Epoche dem Zuſtande eines heftigen Fiebers, das zwar an ſich nicht gut und wünſchenswerth iſt, aber eine beſſere Geſundheit als heitere Folge hat. Dasjenige wirklich Verruchte, was jetzt oft den ganzen Inhalt eines poe¬ tiſchen Werkes ausmacht, wird künftig nur als wohl¬ thätiges Ingredienz eintreten; ja man wird das augenblicklich verbannte durchaus Reine und Edle bald mit deſto größerem Verlangen wieder hervorſuchen.“ Es iſt mir auffallend, bemerkte ich, daß auch Me¬ rimée, der doch zu Ihren Lieblingen gehört, durch die abſcheulichen Gegenſtände ſeiner Guzla gleichfalls jene ultra-romantiſche Bahn betreten hat. „Merimée, erwiederte Goethe, hat dieſe Dinge ganz anders tractirt als ſeine Mitgeſellen. Es fehlt freilich dieſen Gedichten nicht an allerlei ſchauerlichen Motiven von Kirchhöfen, nächtlichen Kreuzwegen, Geſpenſtern und Vampyren; allein alle dieſe Widerwärtigkeiten be¬ rühren nicht das Innere des Dichters, er behandelt ſie vielmehr aus einer gewiſſen objectiven Ferne und gleich¬ ſam mit Ironie. Er geht dabei ganz zu Werke wie 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/329
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/329>, abgerufen am 24.11.2024.