neben der Form auch den bisherigen Inhalt. -- Die Darstellung edler Gesinnungen und Thaten fängt man an für langweilig zu erklären, und man versucht sich in Behandlung von allerlei Verruchtheiten. An die Stelle des schönen Inhalts griechischer Mythologie tre¬ ten Teufel, Hexen und Vampyre, und die erhabenen Helden der Vorzeit müssen Gaunern und Galeeren¬ sklaven Platz machen. Dergleichen ist pikant! das wirkt! -- Nachdem aber das Publicum diese stark ge¬ pfefferte Speise einmal gekostet und sich daran gewöhnt hat, wird es nur immer nach Mehrerem und Stärkerem begierig. Ein junges Talent, das wirken und aner¬ kannt seyn will, und nicht groß genug ist, auf eigenem Wege zu gehen, muß sich dem Geschmack des Tages bequemen, ja es muß seine Vorgänger im Schreck- und Schauerlichen noch zu überbieten suchen. In diesem Jagen nach äußeren Effectmitteln aber wird jedes tie¬ fere Studium und jedes stufenweise gründliche Ent¬ wickeln des Talentes und Menschen von Innen heraus ganz außer Acht gelassen. Das ist aber der größte Schaden, der dem Talent begegnen kann, wiewohl die Literatur im Allgemeinen bei dieser augenblicklichen Richtung gewinnen wird."
Wie kann aber, versetzte ich, ein Bestreben, das die einzelnen Talente zu Grunde richtet, der Literatur im Allgemeinen günstig seyn? --
"Die Extreme und Auswüchse, die ich bezeichnet
neben der Form auch den bisherigen Inhalt. — Die Darſtellung edler Geſinnungen und Thaten fängt man an für langweilig zu erklären, und man verſucht ſich in Behandlung von allerlei Verruchtheiten. An die Stelle des ſchönen Inhalts griechiſcher Mythologie tre¬ ten Teufel, Hexen und Vampyre, und die erhabenen Helden der Vorzeit müſſen Gaunern und Galeeren¬ ſklaven Platz machen. Dergleichen iſt pikant! das wirkt! — Nachdem aber das Publicum dieſe ſtark ge¬ pfefferte Speiſe einmal gekoſtet und ſich daran gewöhnt hat, wird es nur immer nach Mehrerem und Stärkerem begierig. Ein junges Talent, das wirken und aner¬ kannt ſeyn will, und nicht groß genug iſt, auf eigenem Wege zu gehen, muß ſich dem Geſchmack des Tages bequemen, ja es muß ſeine Vorgänger im Schreck- und Schauerlichen noch zu überbieten ſuchen. In dieſem Jagen nach äußeren Effectmitteln aber wird jedes tie¬ fere Studium und jedes ſtufenweiſe gründliche Ent¬ wickeln des Talentes und Menſchen von Innen heraus ganz außer Acht gelaſſen. Das iſt aber der größte Schaden, der dem Talent begegnen kann, wiewohl die Literatur im Allgemeinen bei dieſer augenblicklichen Richtung gewinnen wird.“
Wie kann aber, verſetzte ich, ein Beſtreben, das die einzelnen Talente zu Grunde richtet, der Literatur im Allgemeinen günſtig ſeyn? —
„Die Extreme und Auswüchſe, die ich bezeichnet
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neben der Form auch den bisherigen Inhalt. — Die
Darſtellung edler Geſinnungen und Thaten fängt man
an für langweilig zu erklären, und man verſucht ſich
in Behandlung von allerlei Verruchtheiten. An die
Stelle des ſchönen Inhalts griechiſcher Mythologie tre¬
ten Teufel, Hexen und Vampyre, und die erhabenen
Helden der Vorzeit müſſen Gaunern und Galeeren¬
ſklaven Platz machen. Dergleichen iſt pikant! das
wirkt! — Nachdem aber das Publicum dieſe ſtark ge¬
pfefferte Speiſe einmal gekoſtet und ſich daran gewöhnt
hat, wird es nur immer nach Mehrerem und Stärkerem
begierig. Ein junges Talent, das wirken und aner¬
kannt ſeyn will, und nicht groß genug iſt, auf eigenem
Wege zu gehen, muß ſich dem Geſchmack des Tages
bequemen, ja es muß ſeine Vorgänger im Schreck- und
Schauerlichen noch zu überbieten ſuchen. In dieſem
Jagen nach äußeren Effectmitteln aber wird jedes tie¬
fere Studium und jedes ſtufenweiſe gründliche Ent¬
wickeln des Talentes und Menſchen von Innen heraus
ganz außer Acht gelaſſen. Das iſt aber der größte
Schaden, der dem Talent begegnen kann, wiewohl die
Literatur im Allgemeinen bei dieſer augenblicklichen
Richtung gewinnen wird.“
Wie kann aber, verſetzte ich, ein Beſtreben, das die
einzelnen Talente zu Grunde richtet, der Literatur im
Allgemeinen günſtig ſeyn? —
„Die Extreme und Auswüchſe, die ich bezeichnet
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/328>, abgerufen am 24.11.2024.
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