lenken könnte. Das Letztere scheint jetzt mit dem Globe und Temps der Fall zu seyn. "Ich sehe, sagte er, es bereiten sich in Paris bedeutende Dinge vor; wir sind am Vorabend einer großen Explosion. Da ich aber darauf keinen Einfluß habe, so will ich es ruhig ab¬ warten, ohne mich von dem spannenden Gang des Drama's unnützerweise täglich aufregen zu lassen. Ich lese jetzt so wenig den Globe, als den Temps, und meine Walpurgisnacht rückt dabei gar nicht schlecht vorwärts."
Er sprach darauf über den Zustand der neuesten französischen Literatur, die ihn sehr interessirt. "Was die Franzosen, sagte er, bei ihrer jetzigen literarischen Richtung für etwas Neues halten, ist im Grunde wei¬ ter nichts, als der Wiederschein desjenigen, was die deutsche Literatur seit funfzig Jahren gewollt und ge¬ worden. Der Keim der historischen Stücke, die bei ihnen jetzt etwas Neues sind, findet sich schon seit einem halben Jahrhundert in meinem Götz. Uebrigens, fügte er hinzu, haben die deutschen Schriftsteller niemals daran gedacht und nie in der Absicht geschrieben, auf die Franzosen einen Einfluß ausüben zu wollen. Ich selbst habe immer nur mein Deutschland vor Augen gehabt, und es ist erst seit gestern oder ehegestern, daß es mir einfällt, meine Blicke westwärts zu wenden, um auch zu sehen, wie unsere Nachbarn jenseits des Rhei¬ nes von mir denken. Aber auch jetzt haben sie auf
lenken könnte. Das Letztere ſcheint jetzt mit dem Globe und Temps der Fall zu ſeyn. „Ich ſehe, ſagte er, es bereiten ſich in Paris bedeutende Dinge vor; wir ſind am Vorabend einer großen Exploſion. Da ich aber darauf keinen Einfluß habe, ſo will ich es ruhig ab¬ warten, ohne mich von dem ſpannenden Gang des Drama's unnützerweiſe täglich aufregen zu laſſen. Ich leſe jetzt ſo wenig den Globe, als den Temps, und meine Walpurgisnacht rückt dabei gar nicht ſchlecht vorwärts.“
Er ſprach darauf über den Zuſtand der neueſten franzöſiſchen Literatur, die ihn ſehr intereſſirt. „Was die Franzoſen, ſagte er, bei ihrer jetzigen literariſchen Richtung für etwas Neues halten, iſt im Grunde wei¬ ter nichts, als der Wiederſchein desjenigen, was die deutſche Literatur ſeit funfzig Jahren gewollt und ge¬ worden. Der Keim der hiſtoriſchen Stücke, die bei ihnen jetzt etwas Neues ſind, findet ſich ſchon ſeit einem halben Jahrhundert in meinem Götz. Uebrigens, fügte er hinzu, haben die deutſchen Schriftſteller niemals daran gedacht und nie in der Abſicht geſchrieben, auf die Franzoſen einen Einfluß ausüben zu wollen. Ich ſelbſt habe immer nur mein Deutſchland vor Augen gehabt, und es iſt erſt ſeit geſtern oder ehegeſtern, daß es mir einfällt, meine Blicke weſtwärts zu wenden, um auch zu ſehen, wie unſere Nachbarn jenſeits des Rhei¬ nes von mir denken. Aber auch jetzt haben ſie auf
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lenken könnte. Das Letztere ſcheint jetzt mit dem Globe
und Temps der Fall zu ſeyn. „Ich ſehe, ſagte er, es
bereiten ſich in Paris bedeutende Dinge vor; wir ſind
am Vorabend einer großen Exploſion. Da ich aber
darauf keinen Einfluß habe, ſo will ich es ruhig ab¬
warten, ohne mich von dem ſpannenden Gang des
Drama's unnützerweiſe täglich aufregen zu laſſen. Ich
leſe jetzt ſo wenig den Globe, als den Temps, und
meine Walpurgisnacht rückt dabei gar nicht ſchlecht
vorwärts.“
Er ſprach darauf über den Zuſtand der neueſten
franzöſiſchen Literatur, die ihn ſehr intereſſirt. „Was
die Franzoſen, ſagte er, bei ihrer jetzigen literariſchen
Richtung für etwas Neues halten, iſt im Grunde wei¬
ter nichts, als der Wiederſchein desjenigen, was die
deutſche Literatur ſeit funfzig Jahren gewollt und ge¬
worden. Der Keim der hiſtoriſchen Stücke, die bei
ihnen jetzt etwas Neues ſind, findet ſich ſchon ſeit einem
halben Jahrhundert in meinem Götz. Uebrigens, fügte
er hinzu, haben die deutſchen Schriftſteller niemals
daran gedacht und nie in der Abſicht geſchrieben, auf
die Franzoſen einen Einfluß ausüben zu wollen. Ich
ſelbſt habe immer nur mein Deutſchland vor Augen
gehabt, und es iſt erſt ſeit geſtern oder ehegeſtern, daß
es mir einfällt, meine Blicke weſtwärts zu wenden, um
auch zu ſehen, wie unſere Nachbarn jenſeits des Rhei¬
nes von mir denken. Aber auch jetzt haben ſie auf
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/324>, abgerufen am 25.11.2024.
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