wie man ihn bei solchem Alter selten findet. Ihr Er¬ scheinen hat überhaupt in Weimar großen Eindruck gemacht. Wäre sie länger geblieben, sie hätte für Manchen gefährlich werden können.
"Wie sehr thut es mir leid, erwiederte Goethe, daß ich sie nicht öfter gesehen und daß ich anfänglich immer verschoben habe, sie einzuladen, um mich ungestört mit ihr zu unterhalten und die geliebten Züge ihrer Ver¬ wandten in ihr wieder aufzusuchen."
"Der vierte Band von Wahrheit und Dichtung, fuhr er fort, wo Sie die jugendliche Glücks- und Lei¬ dens-Geschichte meiner Liebe zu Lili erzählt finden werden, ist seit einiger Zeit vollendet. Ich hätte ihn längst früher geschrieben und herausgegeben, wenn mich nicht gewisse zarte Rücksichten gehindert hätten, und zwar nicht Rücksichten gegen mich selber, sondern gegen die damals noch lebende Geliebte. Ich wäre stolz gewesen, es der ganzen Welt zu sagen, wie sehr ich sie geliebt; und ich glaube, sie wäre nicht erröthet, zu ge¬ stehen, daß meine Neigung erwiedert wurde. Aber hatte ich das Recht, es öffentlich zu sagen, ohne ihre Zustimmung? Ich hatte immer die Absicht, sie darum zu bitten; doch zögerte ich damit hin, bis es denn endlich nicht mehr nöthig war."
"Indem Sie, fuhr Goethe fort, mit solchem An¬ theil über das liebenswürdige junge Mädchen reden, das uns jetzt verläßt, erwecken Sie in mir alle meine
wie man ihn bei ſolchem Alter ſelten findet. Ihr Er¬ ſcheinen hat überhaupt in Weimar großen Eindruck gemacht. Wäre ſie länger geblieben, ſie hätte für Manchen gefährlich werden können.
„Wie ſehr thut es mir leid, erwiederte Goethe, daß ich ſie nicht öfter geſehen und daß ich anfänglich immer verſchoben habe, ſie einzuladen, um mich ungeſtört mit ihr zu unterhalten und die geliebten Züge ihrer Ver¬ wandten in ihr wieder aufzuſuchen.“
„Der vierte Band von Wahrheit und Dichtung, fuhr er fort, wo Sie die jugendliche Glücks- und Lei¬ dens-Geſchichte meiner Liebe zu Lili erzählt finden werden, iſt ſeit einiger Zeit vollendet. Ich hätte ihn längſt früher geſchrieben und herausgegeben, wenn mich nicht gewiſſe zarte Rückſichten gehindert hätten, und zwar nicht Rückſichten gegen mich ſelber, ſondern gegen die damals noch lebende Geliebte. Ich wäre ſtolz geweſen, es der ganzen Welt zu ſagen, wie ſehr ich ſie geliebt; und ich glaube, ſie wäre nicht erröthet, zu ge¬ ſtehen, daß meine Neigung erwiedert wurde. Aber hatte ich das Recht, es öffentlich zu ſagen, ohne ihre Zuſtimmung? Ich hatte immer die Abſicht, ſie darum zu bitten; doch zögerte ich damit hin, bis es denn endlich nicht mehr nöthig war.“
„Indem Sie, fuhr Goethe fort, mit ſolchem An¬ theil über das liebenswürdige junge Mädchen reden, das uns jetzt verläßt, erwecken Sie in mir alle meine
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wie man ihn bei ſolchem Alter ſelten findet. Ihr Er¬
ſcheinen hat überhaupt in Weimar großen Eindruck
gemacht. Wäre ſie länger geblieben, ſie hätte für
Manchen gefährlich werden können.
„Wie ſehr thut es mir leid, erwiederte Goethe, daß
ich ſie nicht öfter geſehen und daß ich anfänglich immer
verſchoben habe, ſie einzuladen, um mich ungeſtört mit
ihr zu unterhalten und die geliebten Züge ihrer Ver¬
wandten in ihr wieder aufzuſuchen.“
„Der vierte Band von Wahrheit und Dichtung,
fuhr er fort, wo Sie die jugendliche Glücks- und Lei¬
dens-Geſchichte meiner Liebe zu Lili erzählt finden
werden, iſt ſeit einiger Zeit vollendet. Ich hätte ihn
längſt früher geſchrieben und herausgegeben, wenn mich
nicht gewiſſe zarte Rückſichten gehindert hätten, und
zwar nicht Rückſichten gegen mich ſelber, ſondern gegen
die damals noch lebende Geliebte. Ich wäre ſtolz
geweſen, es der ganzen Welt zu ſagen, wie ſehr ich ſie
geliebt; und ich glaube, ſie wäre nicht erröthet, zu ge¬
ſtehen, daß meine Neigung erwiedert wurde. Aber
hatte ich das Recht, es öffentlich zu ſagen, ohne ihre
Zuſtimmung? Ich hatte immer die Abſicht, ſie darum
zu bitten; doch zögerte ich damit hin, bis es denn
endlich nicht mehr nöthig war.“
„Indem Sie, fuhr Goethe fort, mit ſolchem An¬
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/320>, abgerufen am 24.11.2024.
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