Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Fürst sey der Frau Rath aus besonderer Höf¬
lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber
seine gewöhnliche geistliche Kleidung getragen, so habe
sie ihn für einen Abbe gehalten und nicht sonderlich
auf ihn geachtet. Auch habe sie anfänglich bei Tafel,
an seiner Seite sitzend, nicht eben das freundlichste Ge¬
sicht gemacht. Im Laufe des Gesprächs aber sey ihr
an dem Benehmen der übrigen Anwesenden nach und
nach beigegangen, daß es der Primas sey.

Der Fürst habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬
sundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬
gestanden und die Gesundheit Sr. Hoheit ausgebracht.


Heute nach Tisch war ich einen Augenblick bei
Goethe. Er freute sich des herannahenden Frühlings
und der wieder länger werdenden Tage. Dann spra¬
chen wir über die Farbenlehre. Er schien an der Mög¬
lichkeit zu zweifeln, seiner einfachen Theorie Bahn zu
machen. "Die Irrthümer meiner Gegner, sagte er,
sind seit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet,
als daß ich auf meinem einsamen Wege hoffen könnte,
noch diesen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde
allein bleiben! -- Ich komme mir oft vor wie ein Mann
in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur
einen Einzigen zu tragen im Stande ist. Dieser Eine
rettet sich, während alle Uebrigen jämmerlich ersaufen."


Der Fürſt ſey der Frau Rath aus beſonderer Höf¬
lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber
ſeine gewöhnliche geiſtliche Kleidung getragen, ſo habe
ſie ihn für einen Abbé gehalten und nicht ſonderlich
auf ihn geachtet. Auch habe ſie anfänglich bei Tafel,
an ſeiner Seite ſitzend, nicht eben das freundlichſte Ge¬
ſicht gemacht. Im Laufe des Geſprächs aber ſey ihr
an dem Benehmen der übrigen Anweſenden nach und
nach beigegangen, daß es der Primas ſey.

Der Fürſt habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬
ſundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬
geſtanden und die Geſundheit Sr. Hoheit ausgebracht.


Heute nach Tiſch war ich einen Augenblick bei
Goethe. Er freute ſich des herannahenden Frühlings
und der wieder länger werdenden Tage. Dann ſpra¬
chen wir über die Farbenlehre. Er ſchien an der Mög¬
lichkeit zu zweifeln, ſeiner einfachen Theorie Bahn zu
machen. „Die Irrthümer meiner Gegner, ſagte er,
ſind ſeit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet,
als daß ich auf meinem einſamen Wege hoffen könnte,
noch dieſen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde
allein bleiben! — Ich komme mir oft vor wie ein Mann
in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur
einen Einzigen zu tragen im Stande iſt. Dieſer Eine
rettet ſich, während alle Uebrigen jämmerlich erſaufen.“


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="3">
        <div n="4">
          <pb facs="#f0312" n="290"/>
          <p>Der Für&#x017F;t &#x017F;ey der Frau Rath aus be&#x017F;onderer Höf¬<lb/>
lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber<lb/>
&#x017F;eine gewöhnliche gei&#x017F;tliche Kleidung getragen, &#x017F;o habe<lb/>
&#x017F;ie ihn für einen Abb<hi rendition="#aq">é</hi> gehalten und nicht &#x017F;onderlich<lb/>
auf ihn geachtet. Auch habe &#x017F;ie anfänglich bei Tafel,<lb/>
an &#x017F;einer Seite &#x017F;itzend, nicht eben das freundlich&#x017F;te Ge¬<lb/>
&#x017F;icht gemacht. Im Laufe des Ge&#x017F;prächs aber &#x017F;ey ihr<lb/>
an dem Benehmen der übrigen Anwe&#x017F;enden nach und<lb/>
nach beigegangen, daß es der Primas &#x017F;ey.</p><lb/>
          <p>Der Für&#x017F;t habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬<lb/>
&#x017F;undheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬<lb/>
ge&#x017F;tanden und die Ge&#x017F;undheit Sr. Hoheit ausgebracht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="4">
          <dateline rendition="#right">Mittwoch, den 10. Februar 1830*.<lb/></dateline>
          <p>Heute nach Ti&#x017F;ch war ich einen Augenblick bei<lb/>
Goethe. Er freute &#x017F;ich des herannahenden Frühlings<lb/>
und der wieder länger werdenden Tage. Dann &#x017F;pra¬<lb/>
chen wir über die Farbenlehre. Er &#x017F;chien an der Mög¬<lb/>
lichkeit zu zweifeln, &#x017F;einer einfachen Theorie Bahn zu<lb/>
machen. &#x201E;Die Irrthümer meiner Gegner, &#x017F;agte er,<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;eit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet,<lb/>
als daß ich auf meinem ein&#x017F;amen Wege hoffen könnte,<lb/>
noch die&#x017F;en oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde<lb/>
allein bleiben! &#x2014; Ich komme mir oft vor wie ein Mann<lb/>
in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur<lb/>
einen Einzigen zu tragen im Stande i&#x017F;t. Die&#x017F;er Eine<lb/>
rettet &#x017F;ich, während alle Uebrigen jämmerlich er&#x017F;aufen.&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[290/0312] Der Fürſt ſey der Frau Rath aus beſonderer Höf¬ lichkeit auf der Treppe entgegen gekommen; da er aber ſeine gewöhnliche geiſtliche Kleidung getragen, ſo habe ſie ihn für einen Abbé gehalten und nicht ſonderlich auf ihn geachtet. Auch habe ſie anfänglich bei Tafel, an ſeiner Seite ſitzend, nicht eben das freundlichſte Ge¬ ſicht gemacht. Im Laufe des Geſprächs aber ſey ihr an dem Benehmen der übrigen Anweſenden nach und nach beigegangen, daß es der Primas ſey. Der Fürſt habe darauf ihre und ihres Sohnes Ge¬ ſundheit getrunken, worauf denn die Frau Rath auf¬ geſtanden und die Geſundheit Sr. Hoheit ausgebracht. Mittwoch, den 10. Februar 1830*. Heute nach Tiſch war ich einen Augenblick bei Goethe. Er freute ſich des herannahenden Frühlings und der wieder länger werdenden Tage. Dann ſpra¬ chen wir über die Farbenlehre. Er ſchien an der Mög¬ lichkeit zu zweifeln, ſeiner einfachen Theorie Bahn zu machen. „Die Irrthümer meiner Gegner, ſagte er, ſind ſeit einem Jahrhundert zu allgemein verbreitet, als daß ich auf meinem einſamen Wege hoffen könnte, noch dieſen oder jenen Gefährten zu finden. Ich werde allein bleiben! — Ich komme mir oft vor wie ein Mann in einem Schiffbruch, der ein Brett ergreift, das nur einen Einzigen zu tragen im Stande iſt. Dieſer Eine rettet ſich, während alle Uebrigen jämmerlich erſaufen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/312
Zitationshilfe: Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/312>, abgerufen am 21.11.2024.