seiner italienischen Reise. In diesen täglich niederge¬ schriebenen Beobachtungen und Bemerkungen finden sich in Bezug auf die Handschrift dieselbigen guten Eigen¬ schaften, wie bei seinem Götz. Alles ist entschieden, fest und sicher, nichts ist corrigirt, und man sieht, daß dem Schreibenden das Detail seiner augenblicklichen Notizen immer frisch und klar vor der Seele stand. Nichts ist veränderlich und wandelbar, ausgenommen das Papier, das in jeder Stadt, wo der Reisende sich aufhielt, in Format und Farbe stets ein anderes wurde.
Gegen das Ende dieses Manuscripts fand sich eine geistreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe, näm¬ lich die Abbildung eines italienischen Advocaten, wie er in seiner großen Amtskleidung vor Gericht eine Rede hält. Es war die merkwürdigste Figur, die man sich denken konnte, und sein Anzug so auffallend, daß man hätte glauben sollen, er habe ihn gewählt, um auf eine Maskerade zu gehen. Und doch war Alles nur eine treue Darstellung nach dem wirklichen Leben. Den Zeigefinger auf die Spitze des Daumens und die übri¬ gen Finger ausgestreckt haltend, stand der dicke Redner behaglich da, und diese wenige Bewegung paßte recht gut zu der großen Perücke, womit er sich behängt hatte.
Mittwoch, den 3. Februar 1830*.
Wir sprachen über den Globe und Temps, und dieß führte auf die französische Literatur und Literatoren.
ſeiner italieniſchen Reiſe. In dieſen täglich niederge¬ ſchriebenen Beobachtungen und Bemerkungen finden ſich in Bezug auf die Handſchrift dieſelbigen guten Eigen¬ ſchaften, wie bei ſeinem Götz. Alles iſt entſchieden, feſt und ſicher, nichts iſt corrigirt, und man ſieht, daß dem Schreibenden das Detail ſeiner augenblicklichen Notizen immer friſch und klar vor der Seele ſtand. Nichts iſt veränderlich und wandelbar, ausgenommen das Papier, das in jeder Stadt, wo der Reiſende ſich aufhielt, in Format und Farbe ſtets ein anderes wurde.
Gegen das Ende dieſes Manuſcripts fand ſich eine geiſtreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe, näm¬ lich die Abbildung eines italieniſchen Advocaten, wie er in ſeiner großen Amtskleidung vor Gericht eine Rede hält. Es war die merkwürdigſte Figur, die man ſich denken konnte, und ſein Anzug ſo auffallend, daß man hätte glauben ſollen, er habe ihn gewählt, um auf eine Maskerade zu gehen. Und doch war Alles nur eine treue Darſtellung nach dem wirklichen Leben. Den Zeigefinger auf die Spitze des Daumens und die übri¬ gen Finger ausgeſtreckt haltend, ſtand der dicke Redner behaglich da, und dieſe wenige Bewegung paßte recht gut zu der großen Perücke, womit er ſich behängt hatte.
Mittwoch, den 3. Februar 1830*.
Wir ſprachen über den Globe und Temps, und dieß führte auf die franzöſiſche Literatur und Literatoren.
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ſeiner italieniſchen Reiſe. In dieſen täglich niederge¬
ſchriebenen Beobachtungen und Bemerkungen finden ſich
in Bezug auf die Handſchrift dieſelbigen guten Eigen¬
ſchaften, wie bei ſeinem Götz. Alles iſt entſchieden,
feſt und ſicher, nichts iſt corrigirt, und man ſieht, daß
dem Schreibenden das Detail ſeiner augenblicklichen
Notizen immer friſch und klar vor der Seele ſtand.
Nichts iſt veränderlich und wandelbar, ausgenommen
das Papier, das in jeder Stadt, wo der Reiſende ſich
aufhielt, in Format und Farbe ſtets ein anderes wurde.
Gegen das Ende dieſes Manuſcripts fand ſich eine
geiſtreich hingeworfene Federzeichnung von Goethe, näm¬
lich die Abbildung eines italieniſchen Advocaten, wie er
in ſeiner großen Amtskleidung vor Gericht eine Rede
hält. Es war die merkwürdigſte Figur, die man ſich
denken konnte, und ſein Anzug ſo auffallend, daß man
hätte glauben ſollen, er habe ihn gewählt, um auf eine
Maskerade zu gehen. Und doch war Alles nur eine
treue Darſtellung nach dem wirklichen Leben. Den
Zeigefinger auf die Spitze des Daumens und die übri¬
gen Finger ausgeſtreckt haltend, ſtand der dicke Redner
behaglich da, und dieſe wenige Bewegung paßte recht
gut zu der großen Perücke, womit er ſich behängt hatte.
Mittwoch, den 3. Februar 1830*.
Wir ſprachen über den Globe und Temps, und dieß
führte auf die franzöſiſche Literatur und Literatoren.
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/307>, abgerufen am 23.11.2024.
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