solcher Mensch so früh dahin muß! -- Nur ein lum¬ piges Jahrhundert länger, und wie würde er an so hoher Stelle seine Zeit vorwärts gebracht haben! -- Aber wissen Sie was? Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele, als wir denken und wünschen. Immer sind die retardirenden Dämonen da, die überall dazwischen und überall entgegen treten, so daß es zwar im Gan¬ zen vorwärts geht, aber sehr langsam. Leben Sie nur fort, und Sie werden schon finden, daß ich Recht habe."
Die Entwicklung der Menschheit, sagte ich, scheint auf Jahrtausende angelegt.
"Wer weiß, erwiederte Goethe, -- vielleicht auf Mil¬ lionen! Aber laß die Menschheit dauern, so lange sie will, es wird ihr nie an Hindernissen fehlen, die ihr zu schaffen machen, und nie an allerlei Noth, damit sie ihre Kräfte entwickele. Klüger und einsichtiger wird sie werden, aber besser, glücklicher und thatkräftiger nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich sehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermals Alles zusammenschlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung. Ich bin gewiß, es ist Alles danach angelegt und es steht in der fernen Zukunft schon Zeit und Stunde fest, wann diese Verjüngungs- Epoche eintritt. Aber bis dahin hat es sicher noch gute Weile, und wir können noch Jahrtausende und aber Jahrtausende auf dieser lieben alten Fläche, wie sie ist, allerlei Spaß haben."
ſolcher Menſch ſo früh dahin muß! — Nur ein lum¬ piges Jahrhundert länger, und wie würde er an ſo hoher Stelle ſeine Zeit vorwärts gebracht haben! — Aber wiſſen Sie was? Die Welt ſoll nicht ſo raſch zum Ziele, als wir denken und wünſchen. Immer ſind die retardirenden Dämonen da, die überall dazwiſchen und überall entgegen treten, ſo daß es zwar im Gan¬ zen vorwärts geht, aber ſehr langſam. Leben Sie nur fort, und Sie werden ſchon finden, daß ich Recht habe.“
Die Entwicklung der Menſchheit, ſagte ich, ſcheint auf Jahrtauſende angelegt.
„Wer weiß, erwiederte Goethe, — vielleicht auf Mil¬ lionen! Aber laß die Menſchheit dauern, ſo lange ſie will, es wird ihr nie an Hinderniſſen fehlen, die ihr zu ſchaffen machen, und nie an allerlei Noth, damit ſie ihre Kräfte entwickele. Klüger und einſichtiger wird ſie werden, aber beſſer, glücklicher und thatkräftiger nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich ſehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermals Alles zuſammenſchlagen muß zu einer verjüngten Schöpfung. Ich bin gewiß, es iſt Alles danach angelegt und es ſteht in der fernen Zukunft ſchon Zeit und Stunde feſt, wann dieſe Verjüngungs- Epoche eintritt. Aber bis dahin hat es ſicher noch gute Weile, und wir können noch Jahrtauſende und aber Jahrtauſende auf dieſer lieben alten Fläche, wie ſie iſt, allerlei Spaß haben.“
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ſolcher Menſch ſo früh dahin muß! — Nur ein lum¬
piges Jahrhundert länger, und wie würde er an ſo
hoher Stelle ſeine Zeit vorwärts gebracht haben! —
Aber wiſſen Sie was? Die Welt ſoll nicht ſo raſch
zum Ziele, als wir denken und wünſchen. Immer ſind
die retardirenden Dämonen da, die überall dazwiſchen
und überall entgegen treten, ſo daß es zwar im Gan¬
zen vorwärts geht, aber ſehr langſam. Leben Sie nur
fort, und Sie werden ſchon finden, daß ich Recht habe.“
Die Entwicklung der Menſchheit, ſagte ich, ſcheint
auf Jahrtauſende angelegt.
„Wer weiß, erwiederte Goethe, — vielleicht auf Mil¬
lionen! Aber laß die Menſchheit dauern, ſo lange ſie
will, es wird ihr nie an Hinderniſſen fehlen, die ihr
zu ſchaffen machen, und nie an allerlei Noth, damit ſie
ihre Kräfte entwickele. Klüger und einſichtiger wird
ſie werden, aber beſſer, glücklicher und thatkräftiger
nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich ſehe die Zeit
kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und
er abermals Alles zuſammenſchlagen muß zu einer
verjüngten Schöpfung. Ich bin gewiß, es iſt Alles
danach angelegt und es ſteht in der fernen Zukunft
ſchon Zeit und Stunde feſt, wann dieſe Verjüngungs-
Epoche eintritt. Aber bis dahin hat es ſicher noch
gute Weile, und wir können noch Jahrtauſende und
aber Jahrtauſende auf dieſer lieben alten Fläche, wie
ſie iſt, allerlei Spaß haben.“
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/284>, abgerufen am 22.11.2024.
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