dann, über seine scheinbare Unaufmerksamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend: "Sie sehen, Humboldt, es ist aus mit mir!"
"Auf einmal ging er desultorisch in religiöse Ge¬ spräche über. Er klagte über den einreißenden Pietis¬ mus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Nieder¬ schlagen aller freieren Geistesregungen. Dazu sind es unwahre Bursche, rief er aus, die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten! -- Mit der poetischen Vorliebe zum Mittelalter haben sie sich eingeschlichen."
"Bald legte sich sein Zorn, und nun sagte er, wie er jetzt viel Tröstliches in der christlichen Religion finde. "Das ist eine menschenfreundliche Lehre, sagte er; aber von Anfang an hat man sie verunstaltet. Die ersten Christen waren die Freigesinnten unter den Ultra's."
Ich gab Goethen über diesen herrlichen Brief meine innige Freude zu erkennen. "Sie sehen, sagte Goethe, was für ein bedeutender Mensch er war. Aber wie gut ist es von Humboldt, daß er diese wenigen letzten Züge aufgefaßt, die wirklich als Symbol gelten können, worin die ganze Natur des vorzüglichen Fürsten sich spiegelt. Ja, so war er! -- Ich kann es am besten sagen, denn es kannte ihn im Grunde Niemand so durch und durch wie ich selber. Ist es aber nicht ein Jammer, daß kein Unterschied ist, und daß auch ein
dann, über ſeine ſcheinbare Unaufmerkſamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend: „Sie ſehen, Humboldt, es iſt aus mit mir!“
„Auf einmal ging er deſultoriſch in religiöſe Ge¬ ſpräche über. Er klagte über den einreißenden Pietis¬ mus und den Zuſammenhang dieſer Schwärmerei mit politiſchen Tendenzen nach Abſolutismus und Nieder¬ ſchlagen aller freieren Geiſtesregungen. Dazu ſind es unwahre Burſche, rief er aus, die ſich dadurch den Fürſten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten! — Mit der poetiſchen Vorliebe zum Mittelalter haben ſie ſich eingeſchlichen.“
„Bald legte ſich ſein Zorn, und nun ſagte er, wie er jetzt viel Tröſtliches in der chriſtlichen Religion finde. „Das iſt eine menſchenfreundliche Lehre, ſagte er; aber von Anfang an hat man ſie verunſtaltet. Die erſten Chriſten waren die Freigeſinnten unter den Ultra's.“
Ich gab Goethen über dieſen herrlichen Brief meine innige Freude zu erkennen. „Sie ſehen, ſagte Goethe, was für ein bedeutender Menſch er war. Aber wie gut iſt es von Humboldt, daß er dieſe wenigen letzten Züge aufgefaßt, die wirklich als Symbol gelten können, worin die ganze Natur des vorzüglichen Fürſten ſich ſpiegelt. Ja, ſo war er! — Ich kann es am beſten ſagen, denn es kannte ihn im Grunde Niemand ſo durch und durch wie ich ſelber. Iſt es aber nicht ein Jammer, daß kein Unterſchied iſt, und daß auch ein
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dann, über ſeine ſcheinbare Unaufmerkſamkeit milde und
freundlich um Verzeihung bittend: „Sie ſehen, Humboldt,
es iſt aus mit mir!“
„Auf einmal ging er deſultoriſch in religiöſe Ge¬
ſpräche über. Er klagte über den einreißenden Pietis¬
mus und den Zuſammenhang dieſer Schwärmerei mit
politiſchen Tendenzen nach Abſolutismus und Nieder¬
ſchlagen aller freieren Geiſtesregungen. Dazu ſind es
unwahre Burſche, rief er aus, die ſich dadurch den
Fürſten angenehm zu machen glauben, um Stellen und
Bänder zu erhalten! — Mit der poetiſchen Vorliebe
zum Mittelalter haben ſie ſich eingeſchlichen.“
„Bald legte ſich ſein Zorn, und nun ſagte er, wie
er jetzt viel Tröſtliches in der chriſtlichen Religion finde.
„Das iſt eine menſchenfreundliche Lehre, ſagte er; aber
von Anfang an hat man ſie verunſtaltet. Die erſten
Chriſten waren die Freigeſinnten unter den Ultra's.“
Ich gab Goethen über dieſen herrlichen Brief meine
innige Freude zu erkennen. „Sie ſehen, ſagte Goethe,
was für ein bedeutender Menſch er war. Aber wie
gut iſt es von Humboldt, daß er dieſe wenigen letzten
Züge aufgefaßt, die wirklich als Symbol gelten können,
worin die ganze Natur des vorzüglichen Fürſten ſich
ſpiegelt. Ja, ſo war er! — Ich kann es am beſten
ſagen, denn es kannte ihn im Grunde Niemand ſo
durch und durch wie ich ſelber. Iſt es aber nicht ein
Jammer, daß kein Unterſchied iſt, und daß auch ein
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Eckermann, Johann Peter: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Bd. 3. Leipzig, 1848, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eckermann_goethe03_1848/283>, abgerufen am 25.11.2024.
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